Wesen der Nacht
(was ich verweigerte) und begann schließlich die Jungs an der Schule auf ihre Tauglichkeit als potenziellen Freund für mich zu analysieren. Nachdem sie damit durch war, erfuhr ich alles über Sergej Darkovs neuestes Abenteuer. Alles war wie immer. Ich genoss es, mit Pepper zu reden und zu lachen, genoss die warme Sonne auf meinem Gesicht und war erleichtert über die Stille in meinem Kopf.
Doch schon am nächsten Morgen kehrte die Stimme zurück und ließ sich nicht mehr zum Verstummen bringen. Ganz gleich wie sehr ich sie auch ignorierte, sie weigerte sich einfach aufzugeben. Und ich weigerte mich weiterhin, auf sie zu reagieren und damit anzuerkennen, dass es sie gab. Ich sagte mir immer wieder, dass alles nur Einbildung war und ich lediglich eine verrückte Episode durchmachte. Eine Episode war etwas Endliches, etwas, das nur über einen begrenzten Zeitraum stattfand. Eine Episode würde vorübergehen. Ohne Medikamente und Untersuchungen.
Am Samstagnachmittag rief ich Pepper an, um mich mit ihr zu verabreden, oder wenigstens am Telefon mit ihr zu quatschen. Wie sich herausstellte, musste sie schon wieder im Hexenkessel einspringen und hatte keine Zeit für mich. Ihr Gejammer über die unzuverlässigen Aushilfen, die ihr diese Wochenendschicht eingebrockt hatten, lenkte mich zumindest ein bisschen ab. Und natürlich bestärkte ich sie in der Hoffnung, dass Jonah ebenfalls eingeteilt war und sie ihn dieses Mal vielleicht ein wenig länger sehen würde, als es dauerte »G ut, dass du da bist. Ich muss los«, zu sagen.
Ich flüchtete mich in Ablenkungen aller Art. Lesen war unmöglich. Solange mir jemand ständig ins Ohr quatschte, war ich nicht in der Lage, mich zu konzentrieren. Dieses unablässige Prinzessin? Kannst du mich hören? Wo bist du? Antworte mir. Bitte! fraß sich in meine Synapsen und sorgte dafür, dass ich ständig vergaß, was ich gerade gelesen hatte. Als ich mich dabei ertappte, wie ich ein und denselben Absatz zum fünften Mal las, klappte ich das Buch zu und schaltete den Fernseher an. Sobald ich die notwendige Lautstärke gefunden hatte, um die Stimme in den Hintergrund zu drängen, stürmte auch schon Mom in mein Zimmer und drehte sie wieder herunter. Seufzend schaltete ich den Fernseher ab und holte den Staubsauger aus der Abstellkammer. Staubsaugen dämpfte die Stimme, ebenso wie Moms verwunderte Ausrufe darüber, dass ich nicht nur mein Zimmer saugte, sondern gleich das ganze Haus. Unglücklicherweise gingen mir irgendwann trotzdem die Teppiche aus, und als ich den Staubsauger ausschaltete, war die Stimme immer noch da.
Ich schnappte mir meinen iPod, steckte mir die Stöpsel in die Ohren und drehte die Lautstärke auf. Augenblicklich wurden die Worte zu einem Hintergrundrauschen, bis die Stimme endlich verstummte. Als hätte sie aufgegeben, gegen die Musik in meinem Kopf anzuschreien.
Bis Sonntagmittag war ich von der ununterbrochenen Musikbeschallung mindestens genauso genervt wie zuvor von der Stimme. Nicht auszumalen, was ich meinen Trommelfellen damit antat. Ich war heilfroh, wenn ich morgen wieder in die Schule gehen konnte, und hoffte inständig, dass die Stimme sich auch dort nicht wieder melden würde. Der einzige Lichtblick, der mir im Augenblick blieb, war Dads Besuch am nächsten Wochenende. Mit ihm konnte ich über Dinge sprechen, die Mom sofort ausrasten ließen. Vielleicht brachte ich sogar den Mut auf, ihm von dem Entführungsversuch und der Episode zu erzählen, falls sie bis dahin nicht längst vorüber war.
An diesen Gedanken klammerte ich mich und verbrachte den größten Teil des Nachmittags auf einem Liegestuhl im Garten, bis ich am frühen Abend nach drinnen ging, um mir ein Glas Wasser zu holen. Nachdem ich die Stimme seit gestern nicht mehr gehört hatte, entschied ich, einen Versuch zu wagen und die Musik abzuschalten. Noch nie hatte sich Stille so wunderbar angefühlt wie in diesem Moment. Erleichtert ging ich in Richtung Küche.
»N ein, ich werde ihr nichts sagen, William.«
Mom telefonierte mit Dad und sie klang ziemlich angepisst. Deutlich wütender als gewöhnlich. Neugierig blieb ich neben der Tür stehen. Ich wollte wissen, worüber sie stritten, und wenn ich Mom danach fragte, würde sie mir nur wieder ausweichen oder gar nicht antworten.
Eine Weile hörte sie nur zu, dann rief sie: »D en Teufel werde ich tun! Ich werde meine Tochter nicht zur Zielscheibe machen!«
Selten hatte ich sie so aufgebracht erlebt. Sie sprach so schnell ins Telefon,
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