Wesen der Nacht
Lernen stören, wenn es sich vermeiden lässt. Aber um sechs bist du zu Hause. Pünktlich zum Abendessen.«
Wenigstens mein morgiges Training war gerettet. Erleichtert schob ich mir eine Gabel Auflauf in den Mund– obwohl ich vielleicht erst hätte nachsehen sollen, ob Mom mir nicht einen Peilsender unter den Käse gemischt hatte.
7
Ich war heilfroh, als ich am Montagmorgen wieder zur Schule gehen durfte. Auch wenn das bedeutete, dass ich auf meine Ohrstöpsel und die Musik verzichten musste und lediglich darauf hoffen konnte, dass die Stimme auch weiterhin stumm blieb. Weder Dad noch Trick hatten sich gemeldet, weshalb ich nach wie vor im Dunkeln tappte, was das merkwürdige Telefonat anging. Mom hatte natürlich auch nichts erzählt. Dafür hatte sie mich am Morgen auf dem Weg zur Redaktion an der Schule abgesetzt. Für gewöhnlich hätte ich mich dagegen gewehrt und so lange getrödelt, bis sie nicht länger warten konnte und ohne mich fuhr. Heute jedoch war ich froh, nicht allein unterwegs zu sein. Sobald ich mich der Stelle des Überfalls näherte, begann mein Herz jedes Mal wie wild zu klopfen. Ich würde alles tun, um möglichst bald in der Lage zu sein, mich selbst zu verteidigen. Dann würde dieses Problem der Vergangenheit angehören und ich konnte endlich wieder ohne Angst meine Straße entlanggehen oder mich zum Joggen nach draußen trauen.
Dank Moms Taxiservices war ich früher als gewöhnlich in der Schule. Nur zu gerne hätte ich die Zeit genutzt, um Pepper von dem Anruf zu erzählen. Dummerweise gehörte meine beste Freundin aber zu den Menschen, die immer auf den letzten Drücker kamen. Eine Angewohnheit, die noch aus den Zeiten stammte, in denen die Schüler sie gehänselt und sich über ihre Figur lustig gemacht hatten. Ungeduldig wartete ich bis zur ersten Pause.
»I ch verstehe einfach nicht, warum Mom Angst hat, dass mir dasselbe passieren könnte wie Tante Beth«, beendete ich meinen Bericht.
Pepper runzelte die Stirn. »V ielleicht, weil dich auch jemand entführen wollte?«
»W ovon sie aber nichts weiß.«
»S timmt. Hatte ich ganz vergessen.« Sie warf ihre Schranktür zu und lehnte sich mit dem Rücken gegen den Spind. »A ber merkwürdig ist das schon, oder? Erst deine Tante und dann du.«
Dieser Gedanke verfolgte mich, seit mir klar geworden war, dass mich um ein Haar dasselbe Schicksal wie Tante Beth ereilt hätte. Aber zwischen den beiden Vorfällen lagen mehr als zwanzig Jahre. Zu viele Jahre, als dass es einen Zusammenhang geben könnte.
»G laubst du wirklich, deine Tante ist tot?«
»M om hat vom Jenseits gesprochen. Das fand ich ziemlich eindeutig.«
»V ielleicht ist sie Menschenhändlern in die Hände gefallen«, überlegte Pepper. Sie rückte ihre Tasche zurecht, stieß sich vom Spind ab und ging neben mir her, in Richtung der Cafeteria. Wir reihten uns in die Schlange an der Essensausgabe ein, als sie mit ihrer Theorie fortfuhr: »N ehmen wir mal an, sie wollte fliehen, wurde erwischt und umgebracht.«
Ich stellte eine Schale Pudding zu den Spaghetti auf mein Tablett. »A ber warum weiß ich nicht, dass sie tot ist? Warum hat Mom mir erzählt, dass sie nie gefunden wurde? Oder wenigstens Dad?«
»V ielleicht wollten sie dich schützen?«
Wir erreichten die Kasse und legten unser Gespräch auf Eis, bis wir bezahlt und uns einen ruhigen Tisch am Fenster gesucht hatten. Das Wetter war traumhaft schön und ich wäre gerne nach draußen gegangen, aber draußen hätten wir uns nicht ungestört unterhalten können. Die Tische auf der Terrasse waren gequetscht voll, selbst auf dem Rasen davor saßen noch Schüler mit ihren Tabletts, und auf dem Sportplatz dahinter trainierte die Hockeymannschaft der Jungs, angefeuert von einer Horde kreischender Groupies. Die meisten nutzten das schöne Wetter, um ihre Pause im Freien zu verbringen, deshalb hatten wir den hinteren Teil der Cafeteria für uns allein.
Ich ließ mich auf den roten Plastikstuhl fallen. »W ovor sollten sie mich schützen wollen?«, nahm ich die Unterhaltung wieder auf. »V or der Vergangenheit? Davor, irgendetwas darüber zu wissen? Das ergibt doch alles keinen Sinn.«
Darauf wusste Pepper auch keine Antwort.
Brütend stocherte ich in meinen Nudeln herum.
Prinzessin, ich brauche dich.
Das war zu viel. »V erschwinde aus meinem Kopf!«, platzte es aus mir heraus, so laut, dass sich die Schüler, die sich in der Cafeteria aufhielten, nach mir umdrehten. Einige blieben mit ihrem Tablett in der Hand
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