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Wesen der Nacht

Wesen der Nacht

Titel: Wesen der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Melzer
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Klassenfahrt zu befreien? Damit ist die ganze Ausrede dahin.«
    Verflucht, ich brauchte ein Attest. Eine Bescheinigung, dass ich nicht an der Klassenfahrt teilnehmen konnte. Wenn ich unentschuldigt fernblieb, würde die Schule zu Hause anrufen und wissen wollen, wo ich steckte. Und Mom würde durchdrehen, weil ich verschwunden war. Mom konnte ich schlecht nach einem Entschuldigungsschreiben fragen und zu meinem Hausarzt konnte ich genauso wenig gehen. Er war mit Mom befreundet und es war durchaus denkbar, dass er bei uns zu Hause anrief, um zu fragen, wie es mir ging.
    »D ann muss ich das Ding eben irgendwie fälschen.«
    Pepper begann zu lachen. »F älschen? Du?! Du kriegst es doch schon mit den Nerven, wenn du bei einem Test abschreiben willst.«
    Schmollend verschränkte ich die Arme vor der Brust. Cale brauchte mich. Und ich brauchte Dad. Es musste doch einen Weg geben…
    Riley kam, um unsere Teller abzuräumen. »Wollt ihr noch etwas?«
    Ein Wunder wäre nett, ohne Zucker, mit einem Schuss Sahne. Zum Mitnehmen, bitte.
    Während ich noch mit dem Schicksal haderte, veränderte sich etwas in Peppers Gesicht. Ein zufriedener Ausdruck breitete sich über ihre Züge aus, wie bei einer Katze, die soeben eine Schüssel Sahne entdeckt hatte. »S ag mal, Riley, dein Dad ist doch Arzt.«

16
    Am nächsten Morgen erwartete mich Mom am Frühstückstisch, doch ihr Blick wirkte abwesend, als könne sie es kaum erwarten, in die Redaktion zu fahren und in ihrer Welt zu versinken. Überhaupt schien sie sich immer mehr zurückzuziehen und war kaum ansprechbar. Bis vor Kurzem hatten wir uns immerhin noch über alltägliche Dinge unterhalten, zumindest soweit ich mir sicher sein konnte, damit keinen neuen Tentakelanfall auszulösen. Während der letzten zwei Wochen hatten wir dagegen so gut wie gar nicht geredet, und wenn, hatten unsere Gespräche meistens im Streit geendet– oder damit, dass ich mich wieder einmal nicht getraut hatte, sie offen auf das Jenseits anzusprechen. Lange konnte ich nicht mehr so weitermachen, das war mir klar. Aber vielleicht musste ich das ja gar nicht.
    »H at Dad sich inzwischen gemeldet?« Ich bestrich eine Scheibe Toast mit Marmelade und gab mir alle Mühe, so arglos wie möglich zu klingen. »H at er gesagt, wann er das nächste Mal kommt?« Wenn er letztes Wochenende hier gewesen wäre, hätten meine Sorgen und Probleme längst der Vergangenheit angehört.
    Mom rührte geräuschvoll ihren Tee um, obwohl sie weder Milch noch Zucker in der Tasse hatte. Ihr Teller mit einem angebissenen Toast darauf stand schon seit Minuten unbeachtet vor ihr. Ihre einzige Antwort bestand aus einem Kopfschütteln. Was sollte das heißen? Dass Dad sich nicht gemeldet hatte? Dass er nicht gesagt hatte, wann er kommen wollte? Oder dass Mom einfach nicht darüber reden wollte? Eltern waren manchmal wirklich kompliziert und schwer zu durchschauen.
    Ich hatte keine Ahnung, was sie meinte, und versuchte das Gespräch auf ein anderes Thema zu lenken. Eines, von dem mir letzte Nacht bewusst geworden war, dass ich mich nicht ewig davor drücken konnte: die Klassenfahrt. Morgen nach der Schule sollte es losgehen, und nachdem Mom während der letzten Woche so nervös gewesen war, hatte ich das Thema vermieden, aus Angst, sie könne mir doch noch verbieten, mitzufahren. Inzwischen hatte ich mich mit allerlei Argumenten bewaffnet, die ich anführen wollte, um Mom davon zu überzeugen, wie gut mir diese vierzehn Tage in Edinburgh tun würden. Ich war bereit, in die Schlacht zu ziehen.
    »H offentlich hat er wieder Zeit, wenn ich von der Klassenfahrt zurückkomme.«
    Bei dem Wort Klassenfahrt ruckte Moms Kopf hoch. Bitte, bitte, flehte ich, lass sie mir die Fahrt nicht verbieten! » W ann ist das noch mal?«
    »M orgen Abend geht es los. Das weißt du doch, Mom.«
    Ihre Finger schlossen sich so fest um die Tasse, dass ihre Knöchel weiß hervortraten. Ihr Gesicht jedoch blieb ausdruckslos. »I ch weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, wenn du mitfährst.«
    Panik überflutete mich. Ich war entschlossen, zu gehen, ob sie es mir erlaubte oder nicht. Aber ohne ihr Einverständnis würde es deutlich schwieriger werden. Für die Polizei wäre ich dann ein Ausreißer, einer von unzähligen Teenagern, die jedes Jahr ihr Zuhause verließen, doch für Mom wäre ich… Tante Beth. Sie hatte keine Angst davor, mich obdachlos und vollgepumpt mit Drogen auf einem Straßenstrich zu finden– sie wusste, dass ich so etwas niemals tun würde.

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