Wesen der Nacht
Sie würde mich in der Gewalt von Dämonen vermuten. Oder tot. Das wollte ich ihr nicht antun, und gerade deshalb brauchte ich ihr Okay zu dieser Klassenfahrt.
»M om«, protestierte ich. »D u sagst immer, London sei zu gefährlich, und jetzt fahren wir in eine todlangweilige, kleine Stadt, wo wir Tag und Nacht von einer Horde Lehrern bewacht werden, und du willst mich nicht gehen lassen?«
Ich konnte sehen, wie es hinter ihrer Stirn arbeitete. Schließlich nickte sie. »D u hast recht. Du hast dich so lange auf diese Fahrt gefreut, es wäre unfair, dir jetzt den Spaß zu verderben.«
Offensichtlich war sie zu dem Schluss gekommen, dass ich abseits von London, wo uns die Feinde meines Vaters und die Kreaturen des Jenseits vermuteten, sicherer war als hier. In diesem Fall arbeitete ihre Paranoia ausnahmsweise einmal für mich.
Überhaupt funktionierte seit der Sache mit Riley gestern Abend alles reibungslos. Ich konnte immer noch nicht glauben, dass Pepper es tatsächlich geschafft hatte, mir ein Alibi zu besorgen. Es hatte sie nur ein paar freundliche Worte, ein nettes Lächeln und ein gut gemeintes Angebot gekostet.
Nachdem sie Riley gestern nach dem Beruf ihres Dads gefragt hatte, war diese erst ein wenig irritiert gewesen. »D as steht zwar nicht auf der Speisekarte«, hatte sie gesagt »A ber es stimmt.«
»D u könntest uns einen riesigen Gefallen tun«, begann Pepper und setzte noch eins drauf: »E inen megagroßen, weltrettenden Gefallen. Serena hier ist nämlich verliebt.« Mit wenigen Sätzen hatte sie Riley von meiner großen Liebe erzählt, die viel zu weit weg in den schottischen Highlands war und die ich– statt an der Klassenfahrt teilzunehmen– besuchen wollte. »I hre Mom würde ihr natürlich den Kopf abreißen, und sie weiß auch keinen Arzt, von dem sie sich ein Attest besorgen könnte.« Sie machte eine kunstvolle Pause, legte den Kopf schräg, dann lächelte sie. »D u kommst wohl nicht zufällig an den Praxisstempel deines Dads heran?«
Ein Stempel. Das war alles, was wir brauchten, den Rest konnten wir uns selbst aufsetzen.
Riley wirkte skeptisch. Bevor sie jedoch etwas sagen konnte, hob Pepper die Hand. »W arte, ich habe da noch eine Idee. Ich arbeite in einem Laden, in dem es momentan vorne und hinten an Personal fehlt. Wenn du interessiert bist, könnte ich ein gutes Wort für dich einlegen.«
»I hr wisst auf jeden Fall, wie ihr jemanden ködern könnt«, lachte Riley.
»E s ist wirklich, wirklich wichtig«, sagte ich.
»E igentlich mache ich so etwas nicht. Zumindest habe ich es noch nie gemacht. Aber so wie es aussieht, steckst du wirklich in einer Notlage, Serena. Und jungem Glück soll man ja auch nicht im Weg stehen. Ich kann euch nichts versprechen, aber ich werde mal sehen, was ich tun kann.«
So waren wir ins Geschäft gekommen.
Jetzt, wo ich mit Mom am Tisch saß, beschlich mich ein leiser Zweifel, ob es richtig war, sie anzulügen, und ob ich die ganze Sache nicht besser fallen lassen sollte. Ich schob ihn jedoch beiseite und entschied, dass ich diese Entscheidung auch später noch treffen konnte. Sobald ich wusste, ob Riley überhaupt Erfolg gehabt hatte, oder falls es mir doch noch gelang, Dad vor meiner geplanten Abreise zu erreichen.
Auf dem Weg zur Schule– ich stand gerade in der U-Bahn, eingequetscht zwischen zwei Anzugtypen mit Aktenkoffern und einer Mutter mit einem quengelnden Baby im Kinderwagen– meldete sich Cale.
Geht es dir nicht gut?
Wie kommst du darauf?
Ich spüre, dass du traurig bist. Nein, traurig trifft es nicht. Du zweifelst an etwas. An mir?
Warum sollte ich an dir zweifeln? Um ihn zu beruhigen, gewährte ich ihm Einblick in meine Gedanken. Ich offenbarte ihm unseren Plan, der mich hoffentlich zu ihm bringen würde, und ließ ihn ebenso an dem Gespräch mit Mom teilhaben und an meinen Zweifeln, ob ich sie wirklich so hintergehen konnte.
Das muss schwer für dich sein, aber ich bin dir unglaublich dankbar. Seine Stimme war leiser als gewöhnlich und ich hatte Mühe, seine Worte zwischen den Unterhaltungen der Aktenkoffertypen und dem Babygeschrei zu verstehen. Ein- oder zweimal brach die Verbindung kurz ab. Ich war mir nicht sicher, ob es daran lag, dass ich mich nur schwer auf ihn konzentrieren konnte, oder ob seine Kräfte inzwischen so sehr geschwunden waren, dass es ihm nicht mehr möglich war, die Verbindung länger als eine oder zwei Minuten am Stück aufrechtzuerhalten.
Mir wäre es auch lieber, ich müsste dich nicht in
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