Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
Telefons herumtippte. Ein kurzer Aufenthalt in Herford und dann wieder in die andere Richtung. Sicher, gelegentlich war es etwas eintönig, aber für jemanden wie ihn, der Routine schätzte und Veränderungen generell skeptisch gegenüberstand, war dieser Job genau der richtige.
In Herford würde er sich einen Kaffee besorgen, vielleicht eine Zeitschrift im Kiosk kaufen und ein schnelles Zigarettchen rauchen. Den nächsten längeren Aufenthalt hatte er erst wieder in drei Stunden.
Christels Nummer war natürlich eingespeichert, jetzt noch auf »Senden« drücken, und ab damit. Im nächsten Augenblick blickte Westerhold auf und sah durch die Frontscheibe des Triebwagens. Er blinzelte. Riss die Augen auf, schob seine Brille höher. Es war zu dunkel, um Einzelheiten zu erkennen, doch er war sich sicher, in einiger Entfernung neben den Gleisen die Umrisse eines … ja, was eigentlich? War es ein Tier, vielleicht ein Schaf oder eine Kuh? Vier Beine? Oder waren es nur zwei?
Als die Gestalt plötzlich im gleißenden Scheinwerferlicht auf dem Schienenbett lag, zog Westerhold die Bremse bis zum Anschlag. Dann schloss er die Augen. Das, wovor sich jeder Zugführer fürchtete und was schon bei so vielen seiner Kollegen ein dauerhaftes Trauma hinterlassen hatte, würde nun also auch ihn treffen.
Mit kaum verminderter Geschwindigkeit stieß der Triebwagen mit dem Unbekannten zusammen. Ein dumpfer Schlag erschütterte den Zug, dann öffnete Westerhold die Augen wieder. Er zitterte am ganzen Körper und blickte mit leeren Augen auf die Felder, Höfe und Gewerbegebiete, die sich vor ihm erstreckten. Die Lichter Herfords waren bereits zu sehen. Mit schmerzlicher Gewissheit realisierte er das Unfassbare. Er hatte gerade einen Menschen überfahren.
5
Jan war noch nicht wieder eingeschlafen, als es in seiner Hosentasche vibrierte. Erst gegen fünf Uhr war er aufgewacht und hatte sich aus der Küche ins Schlafzimmer geschleppt, um sich in voller Montur auf sein Bett zu werfen.
Er blinzelte und brauchte ein paar Sekunden, um zu verstehen, dass es das lautlose Klingeln seines Handys war, das sich in seiner Gesäßtasche bemerkbar machte. Müde zog er es hervor und warf einen Blick auf das Display. Es war Cengiz Ergüns Nummer. Nicht schon wieder, dachte er unwillkürlich. Musste die neue Woche so beginnen, wie die alte aufgehört hatte? Mit einer Hiobsbotschaft?
»Morgen, Cengiz, was gibt es?«
»Kannst du kommen?«, fragte Ergün ohne Begrüßung.
»Wohin? Weißt du eigentlich, wie spät es ist?«
»Bernhard Winkelmann ist tot«, antwortete Ergün kurz angebunden.
Jan war sprachlos. Bernhard Winkelmann tot? Es waren noch keine vierundzwanzig Stunden vergangen, seitdem er sich mit Winkelmann unterhalten hatte. Alles war doch völlig normal gewesen, er hatte sich sogar für den heutigen Nachmittag bei ihm angekündigt. Wie konnte er jetzt tot sein?
»Winkelmann ist heute Morgen von einem Zug erfasst worden«, fuhr Ergün fort. »Er war auf der Stelle tot.«
»Selbstmord?«, fragte Jan.
»Sieht danach aus.«
»Warum klingelst du mich dann um diese Uhrzeit aus dem Bett?«
»Denk mal scharf nach! Erst Hövelmeyer und nun der Tod des Geschäftsführers der Brauerei. Ich denke, es ist nicht abwegig, eine Verbindung zwischen den beiden Fällen zu erkennen. Also, sieh zu, dass du deinen Allerwertesten hierherbewegst! Besprechung um halb sieben!« Ergün legte auf.
Jan saß kerzengerade in seinem Bett und rieb sich die Augen. Angestrengt versuchte er den Inhalt von Ergüns Anruf zu verarbeiten. Winkelmanns Tod warf ohne Zweifel ein anderes Licht auf den Mord an Hövelmeyer.
Mühsam raffte er sich auf, stieg aus dem Bett und bewegte sich in Richtung Badezimmer. Mit kaltem Wasser kämpfte er gegen die fahle Gesichtsfarbe und die dunklen Augenringe. Zum Vorschein kamen Sommersprossen auf zartrosa Haut und rotblonde Bartstoppeln. Die struppigen rotblonden Haare lagen kreuz und quer und hatten schon manche Frau, mit der er zu tun gehabt hatte, zu einem Vergleich mit Boris Becker hingerissen. Nicht unbedingt zu Jans Gefallen, hatte er den Leimener doch irgendwie immer doof gefunden.
Schnell eine Toastscheibe mit Butter und Marmelade in der Küche, dazu ein Glas Kakao. Mehr bekam Jan um diese Uhrzeit noch nicht runter. Um Viertel nach sechs verließ er seine Wohnung, in der noch immer überall Yogamatten herumlagen, und stieg in seinen Mini. Sein Rücken schmerzte, als er sich hinter das kleine Lenkrad zwängte und seine Beine in die
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