Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
Entscheidungen einverstanden gewesen, die dein Vater getroffen hat. Wie war denn das Verhältnis zwischen ihm und den beiden?«
Carolin pustete Luft aus und wickelte eine Strähne ihrer langen Haare um den Zeigefinder der linken Hand. Jan befürchtete bereits, dass Bettina mit ihrer Frage wieder mal übers Ziel hinausgeschossen sei, als Carolin plötzlich antwortete: »Papa mochte weder Tante Martina noch Onkel Frank. Die haben immer nur gestritten. Mal ging’s um die Brauerei, dann um Onkel Franks Krankheit und manchmal auch nur um Tante Martinas Freund, diesen Andreas.«
»Was ist denn mit ihm?«
»Was mit ihm ist? Er ist ein Idiot, der sich in unsere Familie einschleichen will. Deswegen auch der ganze Ärger mit Tante Martina.«
»Erzähl uns bitte, was genau du damit meinst«, bat Jan.
»Meine Tante war früher anders, nicht so feindselig meinem Vater gegenüber. Erst als sie diesen Typ kennengelernt hat und er plötzlich für die Brauerei arbeitete, fing sie damit an, ständig auf ihr Erbe zu pochen und Papa und Opa zu bedrängen. Papa hat immer gesagt, dass Andreas sie beeinflusst. Er konnte ihn auf den Tod nicht leiden.«
»Beruhte das auf Gegenseitigkeit?« Jan blickte Carolin erwartungsvoll an.
»Wahrschein …« Sie stockte, als sie bemerkte, worauf Jan mit seiner Frage abzielte. »Meinen Sie etwa …? Mama hat mir mal gesagt, er würde Tante Martina schlagen, aber …«
In Jans Hirn ratterte es. »Das heißt also, du kannst dir vorstellen, dass Andreas Behrendt deinen Vater vor den Zug gestoßen hat?«
»Wenn Sie mich so fragen«, antwortete Carolin sichtlich verunsichert. »Ja.«
19
Das schlechte Gewissen nagte unaufhörlich an ihr. Stärker als an ihm. Er wirkte konzentriert, vollkommen fokussiert auf das, was sie selbst vorgeschlagen hatte.
Sie hatten etwas abseits des Anwesens geparkt. Sie kannte die Gegend gut, hatte ihren Wagen schon einige Male dort abgestellt, wenn der Vorplatz der Villa voll mit teuren Karossen von Geschäftsleuten gewesen war.
Von hier aus hatten sie einen guten Blick auf das große stählerne Tor. Eben hatte ein schnittiger Sportwagen die Auffahrt verlassen und war in Richtung Bünde davongefahren. Sie kannte das Auto, wusste, wem es gehörte. Obwohl sie durch die dunkel getönten Scheiben kaum etwas erkennen konnte, war sie sich sicher gewesen, dass Carolin nicht im Auto gesessen hatte. Ihr Plan schien also aufzugehen.
»Es ist so weit«, sagte er leise, ohne sie anzusehen. »Unsere letzte Chance.«
»Ich weiß immer noch nicht, was ich tun soll, wenn sie nicht mitkommen will«, antwortete sie unsicher.
»Dazu wird es nicht kommen«, sagte er bestimmt. Doch sein emotionsloser Tonfall verstärkte ihr mulmiges Gefühl noch.
»Geh jetzt!«, forderte er sie auf. »Wir dürfen keine Zeit verlieren.«
»Versprich mir, dass ihr nichts passieren wird«, sagte sie mit brüchiger Stimme. In ihren Augenwinkeln bildeten sich Tränen. »Egal, wie aussichtslos die Lage ist, wir dürfen ihr nichts antun.«
»Wenn ich daran erinnern darf, das Ganze war deine Idee«, entgegnete er kühl.
»Ich weiß, aber nur, weil ohnehin längst alles zu spät ist«, flüsterte sie.
»Sei still!«, zischte er zurück. »Ich will das nicht hören. Und jetzt geh endlich!«
»Für den Fall, dass es schiefgeht«, begann sie noch einmal vorsichtig. »Werden wir zusammenhalten?«
Er reagierte nicht, sah nur starr auf die schmale Straße und das Anwesen, das sich hinter der dichten Hecke und dem Stahltor erhob.
Sie nickte, als hätte sie nichts anderes erwartet. »Dann bis später«, sagte sie. Ihre Stimme klang erschöpft und leer, beinahe so, als hätte sie bereits resigniert.
Es war viel einfacher, als sie es sich ausgemalt hatte. Sie hatte Carolin an der Gegensprechanlage gefragt, ob sie ihr bei den schweren Einkaufstüten helfen könne. Zwei Minuten später stand das junge Mädchen bereits am Stahltor und lächelte sie an.
»Warum bist du nicht auf den Hof gefahren?«, fragte Carolin freundlich, während sich das Tor wie von Geisterhand gesteuert öffnete.
»Ich …« Verdammt, dachte sie. Was sollte sie sagen? »Ich … mir ist die Toreinfahrt zu schmal«, lachte sie verlegen. »Du weißt doch, ich fahre nicht so gut Auto.«
Carolin schmunzelte zurück und folgte ihr auf die Straße, die einsam in der Mittagssonne lag. Der Mercedes parkte halb auf dem Bordstein und glänzte in der Sonne, als wäre er gerade vom Band gelaufen. Dabei war es ein gebrauchter, den sie hatten kaufen
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