Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
werde dir jetzt etwas sagen, was niemand weiß. Weder Claus noch seine anderen Kinder. Nur Helene und ich wussten davon.« Er schluckte und versuchte erfolglos, seine Tränen zu unterdrücken. »Du musst mir versprechen, dass auch Sylvia niemals etwas davon erfahren wird.«
Jan sah seinen Vater mit weit aufgerissenen Augen an. Etwas in ihm weigerte sich noch immer, den Gedanken an das, was ihm sein Vater gerade mitzuteilen versuchte, wahrzuhaben. Es schien ihm schlicht unvorstellbar. Trotzdem nickte er.
»Helene und ich hatten vor fünfunddreißig Jahren eine Affäre«, sagte Heinrich mit zitternder Stimme. »Sie ist nicht folgenlos geblieben.« Er trat noch näher an Jan heran und streichelte ihm über die Wangen. Dann sprach er die Worte aus, die Jan nicht hören wollte.
»Ich habe vorgestern einen Sohn verloren und du deinen Halbbruder.«
Epilog
Dicke Regentropfen prasselten auf das dünne Blechdach von Jans Mini. Die Scheibenwischer bewegten sich auf der schnellsten Stufe und schafften es dennoch kaum, für freie Sicht zu sorgen. Die Gewitterfront, durch die er gerade fuhr, entlud sich mit aller Macht. Eine Kaltfront von Norden kommend setzte alles daran, die schwüle Sommerluft der letzten Tage zu verdrängen.
Jan kramte eine alte Travis-Scheibe aus dem Handschuhfach hervor und schob sie in den CD -Spieler: »Why does it always rain on me?« Passender konnte wohl kaum ein Song seine derzeitige Stimmung beschreiben.
Plötzlich tauchte ein Lastwagen aus der Regenwand vor ihm auf und passierte ihn mit hoher Geschwindigkeit, sodass Jan Probleme hatte, den Mini auf der nassen Fahrbahn zu halten. Er trat auf die Bremse und versuchte sich zu beruhigen, doch noch immer war er aufgebracht. Während er erfolglos nach dem Ortseingangsschild von Enger Ausschau hielt, gingen ihm immer wieder die Worte seines Vaters durch den Kopf.
Jan hatte ihn angestarrt, war einen Moment lang versucht gewesen, das Arbeitszimmer sofort zu verlassen, und hatte ihm schließlich doch zugehört bei seiner Entschuldigung für etwas, für das es eigentlich keine Entschuldigung gab.
Er fühlte keine Trauer um seinen Halbbruder. Keine Seelenverwandtschaft, nichts von all dem, was Menschen im Fernsehen über plötzlich in ihr Leben getretene Familienmitglieder erzählten.
Frank-Walters Selbstmord war jedoch aus einem anderen Grund tragisch gewesen. Denn wie um alles in der Welt sollte er seiner Mutter gegenübertreten, ohne ihr von dem Ausrutscher seines Vaters und der Existenz eines weiteren Sohnes zu erzählen? Sein Vater hatte ihm das Versprechen abgerungen, ihr nichts davon zu sagen. Doch je länger er darüber nachdachte, desto unerträglicher erschien es ihm, so zu tun, als sei alles in Ordnung.
Endlich sah er das gelbe Schild mit dem schwarzen Ortsnamen. Jan atmete tief durch. Er spürte ein befreiendes Gefühl, während die letzten Klänge von Travis aus den Lautsprechern zu hören waren. Der Regen wurde allmählich schwächer, und am Horizont brach die Wolkendecke auf.
Seine Finger trommelten aufs Lenkrad, als er sich dem Parkplatz vor dem alten Industriegebäude näherte, in dem sich der Proberaum befand. Seine Bandkollegen warteten bereits vor der mit Graffiti besprühten Metalltür. Neben ihnen stand der Mann, der genauso aussah, wie Jan ihn sich vorgestellt hatte. Halblange Haare, Jeans, schwarzes Hemd, Sonnenbrille, Fluppe im Mundwinkel. Ob man als Musikmanager unbedingt dem Klischee entsprechen musste?
Jan stieg aus und trat auf den Mann zu, der sich nur schlicht »Banjo« nannte. Er musterte ihn kurz und schüttelte ihm die Hand. Dann öffnete er die schwere Tür, und sie betraten den Bandraum, um sich ihren großen Traum von einem Plattenvertrag zu verwirklichen.
Barbara Meyer
MORD AUF LIBORI
Ostwestfalen Krimi
ISBN 978-3-86358-006-3
»Barbara Meyer hat für ein fesselndes Geschehen gesorgt.«
Paderborn am Sonntag
Leseprobe zu Barbara Meyer,
MORD AUF LIBORI
:
EINS
Ein blaues Licht stahl sich durch die Weihrauchwolken. Die Julisonne erleuchtete die bunten Fenster des Hohen Doms, doch weit kamen ihre Strahlen nicht. Nur der blaue Schimmer erkämpfte sich seinen Weg, bis er zwei Reihen vor Lioba Keller auf einen polierten Glatzkopf fiel. Sofort verwandelte sich der Mann in einen fahlen Außerirdischen.
Oder in einen Dämonen.
Dass Sankt Liborius solche Monster vertrieb, war wohl nicht zu erhoffen. Er war nur der Steinheilige. Nieren- und Gallensteine hatte Lioba nicht, aber auf ihrem Weg lagen Stolpersteine
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