Westfalenbraeu - Ostwestfalen-Krimi
ausgemacht. Vor einer der Kapellen, die wie Keksschachteln an der Südseite des Doms klebten, dampfte ein grob aus Blechen zusammengenietetes Ungetüm munter vor sich hin. Fröhliche Jugendliche umstanden es, schlugen sich gegenseitig auf die Schultern und freuten sich über den üppigen Qualm, der wohl ihr Werk war.
Therese drückte sich an dem Räuchertopf vorbei, auf dessen Spitze ein blechernes Kreuz thronte. Ein aufgeklebter Zettel verkündete, dass es sich um »das weltgrößte Weihrauchfass« handelte. Solch bizarre Einfälle hatte man nur hier in Paderborn. Im Vorbeigehen machte sie ein paar Fotos.
Ringsum sah sie nur glückselige Gesichter. Schweißtropfen hingen im grauen Bart eines Alten mit rosigen Wangen, doch seine Äuglein strahlten. Nach der feierlichen Aussetzung des Reliquienschreins drängten viele Leute schon jetzt den Bierständen zu, während im Dom aufbrausende Orgelmusik die abschließende Vesper einleitete.
An den Verkaufsbuden des Pottmarkts wurden die ersten Geschäfte getätigt – oder auch nicht. »Und dann haste das da rumstehen …«, sagte gerade ein Mann mit Hut, während seine Frau einen Stand mit Porzellanfiguren musterte. Überall waren Engel zu sehen – himmlisches Geflügel hatte in Paderborn zu jeder Jahreszeit Konjunktur.
Den Pottmarkt liebte Therese am meisten an Libori. »Auf den Berg«, wie die Paderborner die eigentliche Festmeile südlich der Innenstadt nannten, ging sie in der neuntägigen Liboriwoche nur selten. Sie kaufte gebrannte Mandeln, fuhr ein paarmal mit dem Riesenrad und knipste alles Interessante, das ihr vor die Kamera kam. Dann floh sie vor der schrillen Musik der Fahrgeschäfte und dem Geschrei der Losbudenverkäufer in die ruhigeren Gefilde rund um den Dom.
Als Erstes steuerte Therese eine Dinnede-Bude an, wo sie einen der dünnen Käsefladen erstand. Rüschenverzierte Blusen und Trachtenjacken baumelten unter den Markisen und lockten die Landfrauen an. Am Nachbarstand wühlten ein paar schwarz-weiß gekleidete Nonnen in überdimensionierten Miedern. Sie zu fotografieren verbot sich wohl – Frauen beim Unterwäschekauf knipste man nicht. Es juckte Therese allerdings in den Fingern, als eine der Nonnen einen BH aus festem hellbraunem Gewebe über dem Habit anprobierte.
Über den Verkaufsbuden erhob sich die grandiose Kulisse der Dom-Südseite im vollen Sonnenschein, die starre Wucht des romanischen Turms wurde durch verspielt flatternde Fähnchen aufgelockert – und davor wie die Faust aufs Auge ein Stand mit Autopoliermitteln. Das war ihr Fotomotiv. Ein paar Schritte weiter verrenkten sich zwei fotografierende ältere Damen, um den Verkaufsstand aus dem Bild zu bekommen. Thereses Vorliebe für Gegensätze war ihnen offenbar fremd.
Der Poliermittelanpreiser hatte die Kameras bemerkt und stellte sich in Positur. Therese zoomte ihn heran. Spilleriger blonder Kerl, langhaarig, Basecap. Im Gesicht Pickel. Ein zweiter, größerer Mann mit kurzem schwarzem Haar polierte das ausgestellte Auto, verschwand dann aber im Schatten des Zelts. Seine breiten Schultern waren unter dem gelben T-Shirt nur zu erahnen.
Der Spillerige glaubte wohl, die älteren Frauen hätten es auf ihn abgesehen. »Und schalten Sie bei Ihren Kameras auch den Ton an, damit Sie meine Werbung mitkriegen«, rief er ins Mikro. Dann kam er mit einem Satz unter der Markise hervor und riss die Arme hoch, spreizte beim nächsten Sprung die Beine, dann wieder die Arme und spielte ein paarmal den Hampelmann, als zöge jemand am Fädchen. Im Hintergrund erhob sich der mächtige Turm des Doms, und Therese drückte schnell ein paarmal auf den Auslöser. Doch die Show war schon wieder zu Ende, bevor sie den Knopf für die Videofunktion gefunden hatte. Mit einem Kichern wandten sich die Frauen ab und zogen weiter.
Am Stand gegenüber führte ein rotblonder Typ seinen »Turboschäler« vor. »Schält, hobelt, garniert«, versprach er. Vor ihm standen Platten mit Radieschenrosen auf Apfelsinenhälften, Sternen aus Kiwischeiben, einer Palme mit Möhrenstiel und Wedeln aus Gurkenschalen. Therese fragte sich, wer wohl so etwas brauchte, doch der Stand war dicht umlagert.
Nebenan gab’s Schuhe. Weiße Sneakers bedeckten die eine Hälfte des Tisches, auf der anderen wurden absatzlose Treter in Braun, Rosa und Weiß präsentiert. Mit Rüschen und Perlen verzierte Prinzessinnenkleider warteten auf kleine Mädchen. Im Hintergrund hingen spitzenbesetzte Nylonunterröcke auf einer Stange, unter der Markise
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