Westwind aus Kasachstan
ihnen nach und sieh dir an, was sie da draußen machen. Leider kam ich ein paar Minuten zu spät.«
»Und auch Sie haben nichts gehört und gesehen? Keine Reiter?«
»Ich habe mich um die Verletzten gekümmert, das war wichtiger. Sollte ich sie liegenlassen und erst die Gegend absuchen?« Er blickte zur Seite auf Sliwka. »Ihr Wagen steht noch am Waldrand, und im See kühlen einige Dosen chinesisches Bier. Wenn Sie wollen, bringe ich Sie hin.«
»Ich nehme das Angebot an. Danke, Mr. Curlis.« Sliwka nickte ihm zu, aber seine Bärenaugen zeigten keine Regung. »Es eilt nicht so.«
»Die Nomaden könnten den Jeep mitnehmen. Sie können ihn gut gebrauchen. Sie werden dann eine Menge Scherereien mit Ihrer Zentrale in Semipalatinsk bekommen.«
»Das stimmt.« Sliwka lächelte schwach, als sei er Curlis dankbar. »Wann könnten wir fahren?«
»Wenn General Wechajew der Meinung ist, es wäre nichts mehr zu dem Fall zu sagen.«
»Warum sind Sie den Herren nachgefahren?« fragte nun ausgerechnet der US-General. Curlis seufzte auf.
»Sir, ich hatte so ein komisches Gefühl«, antwortete er.
»Was hatten Sie? Ein Gefühl?« Der General sah Curlis verständnislos an. »Erklären Sie das.«
»Das kann man nicht erklären.«
»Man kann alles erklären!«
»Bestimmte Gefühle nicht. Sie sind einfach da. Und ich hatte das Gefühl der Gefahr, als ich die Herren wegfahren sah. Ich mußte einfach hinterher.« Er wandte sich zu General Wechajew. »Kennen Sie auch solch ein Gefühl?«
»Nein. Wir Soldaten handeln nicht nach Gefühlen, sondern nach Befehlen. Eine Notlage kann auch ein Befehl sein … wie jetzt. Sie witterten also Gefahr?«
»Wittern – das ist der richtige Ausdruck. So wie ein Tier die Gefahr wittert.« Curlis hob schaudernd die Schultern. »Wäre ich nicht gefahren, lägen Frantzenow und Weberowsky jetzt tot am Seeufer. Ich bin zu spät gekommen und doch nicht zu spät.«
Am Abend fuhren Sliwka und Curlis mit dessen Jeep hinaus zum See ›Der schlummernde Bär‹. Sliwka war bester Laune, erzählte Witze am laufenden Band, schilderte ein Erlebnis in einem diskreten Privatpuff in Ust-Kamenogorsk und lachte mehr als Curlis. Der grinste nur und nickte, als Sliwka fragte:
»Soll ich Ihnen die Adresse geben?«
»Gern. Vielleicht kann ich sie mal gebrauchen.«
So ging es weiter bis zum See. Die Dämmerung war gekommen, das Wasser schimmerte blaugrau, und die Oberfläche bewegte sich kaum. Nur der Fischreiher schwebte wieder lautlos über seinem Revier.
»Da steht Ihre Karre«, sagte Curlis und zeigte nach vorn. »Bei uns dürften Sie mit so einem Ding nicht mehr fahren. Es sei denn, Sie sind so pervers und zelebrieren einen langsamen Selbstmord.«
Er hielt neben Sliwkas Jeep, sprang auf die Wiese und wartete, bis Sliwka ihm folgte. Der Henkelkorb lag umgestürzt auf der Erde, das Gurkenglas war umgekippt und ausgelaufen. Über das Brot krabbelten Ameisen, kleine, rötliche Tiere, die es nur in Kasachstan gibt. Zwergtermiten. Curlis zeigte zum Ufer.
»Dort ist es passiert. Im Wasser.«
»Dann müssen die Schützen hier im Wald gelauert haben.«
»So ist es. Und die Pferde standen weiter hinten. Wir müßten also Spuren finden, von Hufen oder Kot. Ein Pferd äpfelt immer. Wir werden die Gegend gleich absuchen.«
»Es wird schnell dunkel, Tony.« Sliwka blickte hinauf zu dem Fischreiher. Schwerelos glitt er im Aufwind dahin. »Wir müssen uns beeilen.«
»Pferdespuren sehe ich auch im Mondschein. Ich stamme von einer Farm in Indiana. In den Collegeferien habe ich als Cowboy gearbeitet, das war immer ein Erlebnis, auf das ich mich jedesmal freute.«
Er ging hinunter zum Seeufer, und Sliwka folgte ihm.
»Wollen wir das chinesische Bier trinken?« fragte Curlis, bückte sich und holte zwei Dosen aus dem Wasser.
»Eine gute Idee. Ich habe wirklich Durst.«
»Na, dann cheerio!«
Sie rissen den Verschluß auf, stießen miteinander an, tranken die Dosen mit langen Schlucken leer. Wie ein Junge warf Curlis seine Dose in die Luft und kickte sie in den See. Sliwka warf seine ins Gras.
»Das ist Umweltverschmutzung, Tony.« Sliwka lachte laut.
»Es gibt so viel Schmutz auf dieser Welt.« Curlis wirbelte herum und hatte plötzlich eine Pistole in der Hand. »Geben Sie Ihre Waffe her!« befahl er kalt.
»Wie bitte?«
»Sie haben in einem Halfter eine Pistole, unter der linken Achsel. Ich kenne diese typischen Ausbuchtungen. Her damit!«
»Was soll der Quatsch?« Sliwka zog die Schultern hoch. Seine
Weitere Kostenlose Bücher