Westwind aus Kasachstan
deutlich sagte er plötzlich:
»Der Wassermann hat mich erwischt.«
Darauf fiel er in Bewußtlosigkeit, sein Körper erschlaffte. »Wolfgang!« schrie Frantzenow und drückte Weberowsky wieder an sich. »Wolfgang. Nein! Wach auf! Geh nicht weg!«
Er starrte auf den Waldrand, aber da sah er niemanden. Der hinterhältige Schütze war verschwunden. Jetzt zuckte auch der Schmerz durch seinen Oberschenkel, Blut sickerte aus der Wunde, und er wunderte sich, daß es nicht mehr war, kein Blutstrom, der das Bein überschwemmte.
Ächzend und mit knirschenden Zähnen, denn der Schmerz jagte jetzt in sein Gehirn, zog er Weberowsky aus dem flachen Wasser ans Ufer und legte ihn auf den Rücken. Zunächst sah er keine Verletzung, aber als er ihn auf die Seite drehte, sah er den Einschuß im Rücken, ein rotes Loch mit einem Blutfaden.
Er verblutet innerlich, durchfuhr es Frantzenow. Wer weiß, was im Inneren zerfetzt ist … und wir sind hier in völliger Einsamkeit, weit weg von allen Menschen, die uns helfen könnten.
Er kroch zum Lagerplatz, riß die Tischdecke an sich, kroch zurück zu dem Ohnmächtigen und drückte das Tuch gegen die Wunde. Es war eine verzweifelte Geste ohne Sinn. Frantzenow schluckte mehrmals, sein Hals war wie zugeschnürt, der Schmerz in seinem linken Oberschenkel vergrößerte sich. Auch der Blutstrom wurde jetzt stärker, er lief aus dem Einschuß wie aus einem verstopften Wasserhahn.
Frantzenow nahm das Tischtuch von Weberowskys Rücken und preßte es auf die eigene Wunde. Dann zerriß er es – er hatte kaum noch Kraft dazu – und band mit zwei Streifen seinen Oberschenkel ab.
Ich muß weg, schrie es in ihm. Ich muß Wolfgang wegbringen. Ich muß es schaffen, ihn in den Jeep zu schleppen und nach Kirenskija zu fahren. Wolfgang, Schwager, halt durch. Wir schaffen es!
Er kroch zu dem Jeep, um ihn näher an Weberowsky heranzufahren, aber es gelang nicht. Neben dem Einstieg brach er zusammen, sein Kopf schlug gegen die Karosserie. Er versuchte noch, sich hochzuziehen, aber dann wurde es dunkel um ihn, der Schmerz zerstörte jede Wahrnehmung, und das letzte, was er dachte, war wie ein Schrei:
Halt durch, Wolfgang. Halt durch!
Er erwachte. Kaltes Wasser rann über sein Gesicht, und der Geschmack von Whiskey brannte auf seinen Lippen. Als er die Augen aufschlug, sah er Tony Curlis vor sich knien.
Neben ihm lag Weberowsky, starr und immer noch besinnungslos. Sein massiger Körper sah schrecklich eingefallen, wie verschrumpft aus.
»Curlis, Sie schickt der Himmel«, flüsterte Frantzenow und leckte sich über die Lippen.
»Nein, mich schickt ein verdammtes Gefühl. Wie fühlen Sie sich?«
»Die Schmerzen …«
»Es ist Gott sei Dank nur eine Fleischwunde. Ein Steckschuß. Die Kugel sitzt im Muskel. Man kann sie ohne Schwierigkeiten herausholen. Sie haben unverschämtes Glück gehabt. Es sollte ein Kopfschuß werden, aber Sie müssen sich im Wasser rechtzeitig gedreht haben.«
»Wie schon einmal. Da rutschte ich im Sessel weg.« Frantzenow warf einen Blick auf den regungslosen Weberowsky. »Lebt er noch?«
»Ja. Aber er ist schlimmer dran als Sie. Er hat einen Rückenschuß.«
»Ich hab' es gesehen. Seit wann sind Sie hier?«
»Seit ein paar Minuten. Verdammt, ich bin zu spät gekommen. Ich habe die Schüsse gehört und war auf der Straße. Nur dadurch habe ich Sie gefunden.« Curlis hatte die Tischtuchstreifen weggenommen und den Oberschenkel mit einem Gürtel abgebunden.
»Sie müssen Wolfgang sofort in eine Klinik bringen.« Frantzenow hatte Mühe zu sprechen. »In Kirenskija gibt es ein Krankenhaus, aber nur für alltägliche Fälle. Schwerkranke werden nach Ust-Kamenogorsk gebracht. Wird Wolfgang den Transport überleben?«
»Das weiß ich nicht. Davon verstehe ich nichts. Ich habe nur einen Erste-Hilfe-Kurs mitgemacht.«
Curlis wandte sich Weberowsky zu. Mit größter Kraftanstrengung stemmte er den schweren Körper hoch und schob ihn auf den Rücksitz des Jeeps. Frantzenow wollte ihm helfen, aber er knickte wieder ein und fiel gegen die Motorhaube. Das linke Bein trug ihn nicht mehr. Auch ihn hob Curlis in den Wagen und setzte ihn neben sich.
»Soll ich Ihnen noch einen Whiskey geben?« fragte er. »Besoffene spüren weniger Schmerzen.«
»Im See liegt eine Flasche Wodka. Der ist mir lieber.«
Curlis lief ans Ufer, fand neben vier Dosen China-Bier auch den Wodka, kam zurück und reichte ihn Frantzenow. Mit geschlossenen Augen setzte dieser die Flasche an den Mund und trank. Es
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