Westwind aus Kasachstan
Frantzenow sogar meinen Wagen für diesen Ausflug geliehen. Sie wollten an den See ›Der schlummernde Bär‹. Sie haben sich so gefreut auf diesen Ausflug. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Es müssen rachsüchtige Nomaden gewesen sein.«
Auf dem Platz vor dem Krankenhaus landete der Militärhubschrauber. Sanitäter brachten Weberowsky und Frantzenow hinaus und luden sie in die Maschine. Während Weberowsky noch immer in tiefer Bewußtlosigkeit lag, lichtete sich bei Frantzenow der Alkoholnebel ein wenig. Die Injektionen kräftigten ihn etwas. Er sah Nurgai an, der in seltener Kameradschaft seine Hand hielt, und hob den Kopf.
»Lebt … lebt er?« stammelte er.
»Noch. Ihr fliegt jetzt nach Ust-Kamenogorsk, dort haben sie hervorragende Chirurgen. Man wird tun, was man tun kann.«
»Was kann man noch tun?«
»Da fragen Sie mich zuviel. Ich besuche Sie übermorgen, Andrej Valentinowitsch. Viel Glück.«
Nurgai winkte Frantzenow nach, als man ihn in den Hubschrauber schob. Die Tür klappte zu, der Propeller begann schneller zu kreisen und erzeugte Windstöße, die Nurgai zurückweichen ließen. Dann hob sich der Helikopter in die Luft, flog einen Bogen und nahm Kurs auf Ust-Kamenogorsk.
Er wird es nicht überleben, dachte Frantzenow und begann zu zittern. Sie werden ihn als Toten herausholen. Und dann werde ich ihn persönlich zu Erna bringen und bei ihr bleiben. Solange sie will. Niemand wird mich daran hindern.
Er blickte auf Weberowsky, der neben ihm lag, mit fahlgelber Haut und spitz gewordenem Gesicht. Da begann Frantzenow zu weinen, zum erstenmal seit über vierzig Jahren. Damals war er zehn Jahre alt gewesen, und ein Lastwagen hatte seinen Hund Sascha überfahren.
Noch im Krankenhaus, im nun leeren Behandlungszimmer, übernahm General Wechajew die Untersuchung des skandalösen Vorfalls.
»Zunächst, meine Herren, muß ich meine Betroffenheit zum Ausdruck bringen. Daß so etwas bei uns möglich ist, betrachte ich als eine Ungeheuerlichkeit. Ich habe keine Erklärung dafür. Oder fällt Ihnen zu diesem Attentat etwas ein?«
»Es kann sich nur um Nomaden handeln«, meldete sich Sliwka zu Wort. »Rache für die vier Toten.«
»Boris Olegowitsch, das ist doch fast fünf Jahre her!«
»Die haben eine Elefantenmentalität: Sie vergessen nichts.«
»Zu solchen Aktionen hätten sie längst Gelegenheit genug gehabt.«
»Nein, General. Was bisher nach Kirenskija hineinkam und hinaus, das waren immer nur Lastwagenkolonnen. Funktionäre kamen mit dem Flugzeug. Es war das erstemal, daß zwei einzelne Männer allein die Stadt verließen und einen Ausflug ins Nomadengebiet unternahmen.«
»Dann wäre es Ihre Pflicht gewesen, Sliwka, sie davon abzuhalten, wenn Sie die Gefahr kannten!« Wechajews Stimme wurde hart und laut. »Statt dessen leihen Sie ihnen auch noch Ihren Wagen!«
»Das war ein Fehler, ich sehe ihn ein«, erwiderte Sliwka zerknirscht. »Aber die Herren haben sich so auf diesen Ausflug gefreut. Ich gebe zu, ich bin etwas zu sorglos gewesen. Nach all den Jahren Ruhe –«
»Eine Kompanie ist ausgerückt und sucht das Gelände ab, begleitet von zwei Kampfhubschraubern. Die Nomaden müssen sich noch in dem Gebiet aufhalten.«
»Es kann sich um einen Reitertrupp handeln, und die haben schnelle Pferde. Diese kleinen mongolischen Gäule, die mit dem Wind um die Wette rennen. Aus der Luft sieht man sie kaum, ihr gelbes Fell verschmilzt mit der Farbe der Felsen.«
»Das könnte eine Erklärung sein. Anscheinend haben Frantzenow und Weberowsky nichts gehört und gesehen, so lautlos kamen die Burschen heran.«
»Sie konnten nichts hören«, wandte Curlis mit Nachdruck ein.
»Wie können Sie das wissen? Hat Ihnen Professor Frantzenow das noch sagen können?«
»Als ich die Verletzten fand, waren ihre Körper noch naß vom Seewasser und abgekühlt. Man hat auf sie geschossen, als sie im Wasser waren.«
»Als Sie die Verletzten fanden …«, wiederholte Wechajew. »Wie kommen Sie an den See, Mr. Curlis? Ein Ausflug, ausgerechnet um die gleiche Zeit?«
»Darüber habe ich auch schon nachgedacht«, warf der US-General ein. »Und – wie ich sehe – tragen Sie Zivil.«
»Sie sind die gleiche Straße gefahren wie die Überfallenen«, meinte Sliwka hämisch.
»Es gibt ja nur die eine.«
»Und wo wollten Sie hin?« fragte Wechajew. »Nur so herumfahren?«
»Nein. Ich habe Frantzenow und Weberowsky wegfahren sehen. Sie kamen bei uns vorbei. Im Jeep des KGB. Das fiel mir auf, und ich dachte mir, fahr
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