Westwind aus Kasachstan
Georgowitsch«, sagte er, schon mit viel kräftigerer Stimme, »hast du fleißig für mich gebetet?«
»Nur ab und zu«, antwortete Heinrichinsky.
»Aha, darum bleibt das Wunder an mir aus!«
»Gott hat dich nicht sterben lassen. Das war der Anfang deines neuen Lebens. Jetzt mußt du selbst etwas daraus machen.«
»Ich bin dabei. Sobald ich aus dem Krankenhaus heraus bin, fliegen wir nach Moskau zur deutschen Botschaft und geben unsere Ausreiseanträge ab. Andrej Valentinowitsch wird auch dabeisein.«
»Ich weiß es.« Heinrichinsky behielt seine fröhliche Haltung. Er dachte nur: Wie bringt man ihm eines Tages bei, daß er nie wieder gehen kann? Wer sagt es ihm? Es wird ein Schock sein. »Vielleicht kann dein Schwager durch seinen internationalen Ruf das Verfahren beschleunigen. Vor einem großen Namen öffnen sich viele Türen.«
»Hast du schon Pläne? Hast du überlegt, was du machen willst?«
»Einen Pfarrer kann man immer brauchen.«
»Das stimmt. Ich kenne keinen arbeitslosen Pfarrer. Du bist versorgt. Aber ich und die anderen? Ob sie uns ein Stück Land geben? Haben sie überhaupt Land? Ich kann auch in einer Fabrik arbeiten, noch drei Jahre, dann bekomme ich Rente.«
»Warum jetzt darüber sprechen, Wolferl?« sagte Erna. Jeden Tag saß sie bei ihm am Bett, hielt seine Hand und hatte Angst, daß er entdecken könnte: Ich kann ja die Beine nicht mehr bewegen. Ich kann keine Faust mehr ballen. Ich kann mich nicht einmal auf die Seite drehen. Mein Körper gehorcht mir nicht mehr. Erna, was ist los mit mir? Erna, sag mir die Wahrheit. Was sollte sie dann sagen? »Darüber nachzudenken haben wir noch viel Zeit. Laß uns erst in Deutschland sein.«
»Ich will mit einem festen Plan hinüberkommen. Ich will nicht warten, bis sich ein Beamter an mich erinnert. Ich will arbeiten.«
Es war schrecklich, ihm zuzuhören und ihm Mut zu machen. »Es wird noch genug Arbeit geben«, erwiderte Heinrichinsky. »Sie lassen uns doch nicht umsiedeln, wenn in den Bonner Ministerien nicht genaue Pläne vorliegen.«
Am sechsten Tag durfte endlich Kiwrin zu Weberowsky. Er war tief beleidigt, daß alle schon Wolfgang Antonowitsch gesprochen hatten. Ihn hatte man mit der Ausrede, er ist noch zu schwach für dich, immer wieder vertröstet. Aber nun war es soweit. Kiwrin begleitete Erna ins Krankenhaus.
Weberowsky war vorbereitet. Er hatte den Kopf zur Trennwand gedreht. Als Kiwrin um sie herum kam und an das Bett trat, sagte er mit großer Freude:
»Da bist du endlich, du Stinktier.«
Und Kiwrin antwortete, ebenso freudig: »Du mußtest erst kräftiger werden, du Bauerntrottel! Jetzt geht's dir gut, wie ich sehe.«
Und dann erzählte er. Von Atbasar, wo es in einer Metzgerei gebrannt hatte, und die Feuerwehr kam angerast und merkte erst am Brandort, daß der Tankwagen ohne Wasser war. Als aber der Brand endlich gelöscht war und die Feuerwehr abrückte, fehlten dem Metzger aus dem unversehrten Kühlhaus drei Schweinehälften und zwei Rinderfilets. Zwei Tage später gab es auf der Feuerwache hinter verriegelten Türen ein großes Fressen mit Schweine- und Rinderbraten und Wodka, und es war ein Glück, daß an diesem Abend nirgendwo ein Feuer ausbrach … es hätte keiner mehr eine Spritze halten können. Und die Beljakowa verzichtete auf ein neues Flugblatt, nachdem man ihr von dem Attentat auf Weberowsky erzählt hatte. Sie hatte noch immer nicht den Fleischbeschau-Stempel abwaschen können, es mußte eine besondere Farbe sein, die in die Haut eindrang, und der Arzt von Atbasar hatte zu ihr gesagt, daß sie wohl bis an ihr Lebensende mit diesem Stempel herumlaufen würde, es sei denn, man würde ihn herausschneiden. Da habe sie einen Schrei ausgestoßen und sei aus der Praxis geflohen.
Weberowsky lachte in einem fort, auch wenn das Lachen jedesmal Stiche in seiner Brust auslöste. Dann mußte er husten, und ein krampfartiges Zucken durchzog seine Schultern. Nur sein Körper regte sich nicht, so als sei er gar nicht vorhanden. Es lebte nur sein Kopf.
»Jetzt ist es genug«, sagte Erna, als Kiwrin begann, von einem Liebespaar aus Atbasar zu erzählen, das sich am Waldrand in ein Ameisennest legte. »Wolferl hat genug gelacht. Er hustet schon wieder! Es strengt ihn zu sehr an. Mach Schluß, Michail Sergejewitsch.«
Kiwrin sah das ein, leistete keinen Widerstand, klopfte Weberowsky auf die Schulter und sagte: »Das war's, du Fleischstempler. Ich komme morgen wieder. Verdammt will ich sein, wenn wir dich nicht bald aus
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