Westwind aus Kasachstan
einen brennenden Lappen auf ihn legen können, er würde nichts spüren. Nicht die geringste Sensibilität war mehr in diesem Körper. Ein Haufen Fleisch und Knochen, nur die inneren Organe arbeiteten wie bisher.
»Ich bin zufrieden mit Ihnen«, sagte Dr. Anissimow und klopfte Weberowsky auf die Brust. Auch diesmal log er nicht. Man mußte mit dem zufrieden sein, wie es war. Mehr konnte man nicht erwarten. »Sie können nach Hause.«
Dreimal in diesen acht Wochen hatte Weberowsky Besuch von General Wechajew erhalten. Er brachte Kuchen mit, süß, mit einer rosa gefärbten Zuckerglasur, und beim drittenmal eine Art Osterkuchen, wie ihn die Bauern backen und in der Osternacht zur Kirche bringen, um einen Teil den Popen zu schenken und den anderen Teil segnen zu lassen.
Wechajew berichtete, daß man die Nomaden nicht gefunden hatte und auch den Mörder von Sliwka nicht. Man wußte nur, daß er mit einer fremden Waffe erschossen worden war, aber die Experten waren sich nicht einig, ob es sich um eine amerikanische oder israelische Waffe handelte. Die amerikanische Kommission hatte vor einer Woche Kirenskija verlassen, nachdem sie sich überzeugt hatte, daß alle Atomsprengköpfe nach Rußland abtransportiert worden waren, wo sie vernichtet werden sollten.
»Was nun aus Kirenskija wird, weiß niemand«, fuhr Wechajew fort. »Atomare Versuche finden nicht mehr statt. Und wir als Truppe sind völlig überflüssig geworden, es gibt nichts mehr zu bewachen und abzuschirmen. Auch über eine neue Verwendung gibt es nur Spekulationen. In Alma-Ata will man, daß alle russischen Verbände Kasachstan verlassen. Man will als unabhängiger Staat auch eine eigene Armee haben. Unser Präsident träumt von einer Großmacht, keiner weiß, wieviel Atombomben und Atomraketen er versteckt hat. Jelzin wird es schwer haben mit seinen Reformen, auch wenn er jetzt, nach dem mißlungenen Putsch gegen Gorbatschow, fast alle Macht auf sich vereinigt. Die Ukraine macht ebenfalls Sorgen. Leonid Krawtschuk hat den durch das START-Abkommen notwendig gewordenen Abtransport der taktischen Atomwaffen zur Vernichtung in Rußland eingestellt. Außerdem beansprucht er das Kommando über die Schwarzmeerflotte, die auf der Krim stationiert ist. Auch er phantasiert von einer Großmacht Ukraine. Jelzin hat dem amerikanischen Präsidenten Bush versprochen, daß alle russischen Republiken bis 1994 atomwaffenfrei sind, aber viele zweifeln daran, daß er das Versprechen einhalten kann. Die Lage in Rußland ist zur Zeit chaotisch. Das wirkt sich natürlich auch auf die Rußlanddeutschen aus. Kasachstan möchte sie aus dem Land haben, an der Wolga protestieren die Bauern gegen eine rußlanddeutsche Republik, und Ihre Heimat, Deutschland, redet zwar viel von der Heimkehr ihrer Brüder, aber sie tut alles, um die Aussiedlung zu erschweren.«
»Ich weiß es, General.« Weberowsky blickte ins Leere. »Bergerow hat mir alles erklärt. Aber vielleicht ändert sich das mit der Zeit. Bergerow ist dabei, Zeitungen, Illustrierte, Fernsehen und Funk, die uns bisher nur am Rande erwähnten, von den Problemen zu unterrichten. Eine breite öffentliche Meinung wird Bonn bewegen, schneller zu arbeiten.«
»Wenn ich Ihnen bei der Ausreise helfen kann, werde ich das gerne tun«, versprach General Wechajew zum Abschied beim dritten Besuch. Von Dr. Anissimow hatte er erfahren, daß Weberowsky nie mehr sein Bett verlassen konnte. »Der Anschlag ist in meinem Befehlsgebiet erfolgt. Ich bin verpflichtet, Ihnen beizustehen. Das fordert meine Ehre als Offizier.«
Nun, da Weberowsky nach Nowo Grodnow entlassen werden sollte und man überlegte, wie der weite Transport stattfinden könnte, löste General Wechajew sein Ehrenwort ein.
»Machen Sie sich keine Sorgen, Ewald Konstantinowitsch«, sagte er am Telefon zu Bergerow. »Weberowsky schwebt auf Schwingen nach Hause. Ich stelle einen Hubschrauber zur Verfügung. Morgen früh landet er bei Ihnen auf der Wiese hinter dem Haus. Ich werde den Transport dem Oberkommandierenden gegenüber verantworten.« Bergerow rief sofort in Nowo Grodnow bei Pfarrer Heinrichinsky an: »Morgen kommt er.«
Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Dorf. Wolfgang Antonowitsch kommt zurück. Auch Kiwrin wurde benachrichtigt. Er probierte sofort seinen Festanzug mit den Orden an, ob er noch paßte. Er war ein wenig enger geworden, aber saß jetzt, als sei er nach Maß gemacht. »Vater kommt morgen!« rief Erna, als Heinrichinsky ihr die Nachricht
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