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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Angst, Anissimows Wohlwollen zu verlieren. Sie waren auf ihn angewiesen, er herrschte unumschränkt.
    »Wer ist hier der Arzt?« fragte er endlich, etwas leiser.
    »Sie. Welche Frage.«
    »Wer hat die Verantwortung für die Kranken?«
    »Sie.«
    »Und da wagen Sie es, mir mangelnden Anstand vorzuwerfen, wenn ich die Kranken beschütze?«
    »Ich gehe schon.« Erna wandte sich ab. Ihre Schultern sanken zusammen. »Ich habe einen Fehler gemacht, ja … aber die Strafe ist zu hart.«
    »Du bleibst, Erna. Wir gehen gleich zu Wolfgang.«
    »Nein!« Dr. Anissimow stieß den Kopf vor wie eine Viper. »Ich verbiete es!«
    Sie zuckten beide zusammen. Erna hatte einen hellen, sich überschlagenden Schrei ausgestoßen. Der Schrei alarmierte die Station. Schwestern und Ärzte stürzten auf den Flur. »Ich will meinen Mann wiederhaben!« schrie Erna. In ihren Augen sah man, daß sie gar nicht wußte, was sie tat. Sie hörte sich selbst schreien, und es war für sie eine fremde Stimme. »Er gehört mir und nicht den Ärzten! Ich will ihn wiederhaben. Ich will ihn mitnehmen!«
    Dr. Anissimow wollte etwas sagen, aber Frantzenow hatte seine Krücke genommen und hielt sie wie eine Schranke vor Anissimows Bauch. »Keinen Schritt weiter!« sagte er in einem Ton, der jeden Zweifel ausschloß. »Anissimow, ich schlage Ihnen die Krücke über den Schädel, das schwöre ich Ihnen!«
    Im Flur standen die Ärzte, Schwestern und Pfleger und waren wie erstarrt. Sie warteten. Schlug Frantzenow wirklich zu? Es war keiner unter ihnen, der Anissimow diese Prügel nicht gönnte. Endlich jemand, der sich nicht vor ihm duckte. Schlag zu, Professor, wir warten alle darauf.
    »Wenn das so ist.« Anissimow war bleich geworden. Diese Beleidigung wirkte wie Gift in ihm. »Da steht er wieder, der deutsche Held! Schlägt alles nieder, weil es für ihn keine Moral gibt! Nur erobern, immer nur erobern! Gehen Sie hinein zu Weberowsky. Wenn ihn die Aufregung zurückwirft und er stirbt … ich kann's nicht mehr ändern. Ein Deutscher weniger, das ist wohl der richtige Standpunkt!«
    Niemand hinderte sie jetzt, die Intensivstation zu betreten. Die Stille, in die sie eintraten, ließ ihren Atem schwerer machen. Nur ein paar Apparate tickten leise. Der Mann, der gestern um seinen Tod gebettelt hatte, war nicht mehr da. Man hatte ihn sterben lassen.
    Weberowsky mußte die Schritte gehört haben. Er hatte den Kopf zur Trennwand gedreht und lächelte, als Erna an sein Bett trat. Er wollte die Hand heben, aber er war scheinbar noch zu schwach dazu.
    »Wie gut, daß du kommst«, sagte er mühsam, aber verständlich. »Ich habe auf dich gewartet. Geh nicht so schnell wieder fort. Bleib bei mir. Ich brauche dich.«
    Es war das erstemal in den vielen Jahren ihrer Ehe, daß er zugab, sie zu brauchen.
    »Ich bleibe bei dir«, erwiderte Erna und küßte ihn auf die Stirn. »Ich lass' dich nicht allein, Wolferl. Werd wieder gesund, alle warten auf dich.«
    Bis zu den Schultern ist er gelähmt. Ob er die Arme bewegen kann, wissen sie noch nicht. Kann er es nicht, werden wir ihn füttern wie einen jungen Vogel. Aber er wird leben und glücklich sein, wenn wir ihn unter die Sonnenblumen schieben oder an den Stall, wo er den Hühnern zusehen kann und die Enten schnatternd um ihn herumwatscheln. »Es wird alles gut werden, Wolferl«, sagte sie und legte ihren Kopf auf seine Hand. »Wir müssen nur Geduld haben. Viel Geduld!«
    »Ich weiß, Erna.« In seinen Augen lag eine unendliche Liebe. Sie hatte einen solchen Blick noch nie bei ihm gesehen. Auch nicht, wenn sie sich geliebt hatten – da war er wie ein Bär, der, satt vom Honig, sich auf die Seite rollt und zufrieden einschläft. »Ich war immer ein ungeduldiger Mensch.«
    »Ja, das warst du, Wolferl.«
    »Ich habe kein Gefühl in den Beinen.«
    »Hast du das dem Arzt gesagt?« fragte sie vorsichtig.
    »Ja.«
    »Und was hat er geantwortet?«
    »Dasselbe wie du: ›Geduld, das wird schon wieder. Denken Sie an Ihren Hof. Auch dort braucht es eine Zeit, bis aus einem Saatkorn eine reife Ähre wird.‹«
    »Das hat Dr. Anissimow gesagt?«
    »Ja. Er machte mir Hoffnung.« Seine Augen wanderten zur Seite. »Da steht doch jemand hinter der Trennwand.«
    »Ich bin es.« Frantzenow kam um die Bespannung herum. Er bemühte sich krampfhaft, fröhlich zu erscheinen. »Guten Morgen, Schwager. Von Tag zu Tag siehst du besser aus. Übrigens, so ein Bart steht dir gut. Er macht dich so würdevoll.«
    Weberowsky versuchte ein Grinsen. »Erna, du

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