Westwind aus Kasachstan
diesem Stall hier abholen können! Da können die Mediziner noch so gelehrte Vorträge halten, die beste Therapie ist das Lachen. Weiter so, Wolfgang Antonowitsch!«
»Komm morgen bestimmt wieder, du Halunke!« erwiderte Weberowsky. Und als Kiwrin um die Trennwand verschwunden war, sah er Erna strahlend an. »Kiwrin ist ein fabelhafter Mensch. Er hat recht, ich fühle mich viel wohler. Seine Frechheiten stecken an.«
Erna nickte. So ist es, dachte sie. Ich sitze hier am Bett und küsse ihn und wische ihm den Schweiß von der Stirn, und er nimmt es dankbar hin. Er erwartet nichts anderes. Aber dann kommt ein Kumpel wie Kiwrin, erzählt erfundene Geschichten, über die man lachen kann, und dann heißt es: Ich fühle mich gleich wohler.
Und wieder grauste es ihr vor der Stunde, in der sie zu ihm sagen mußte: Wolferl, du wirst nie wieder gehen können. Du kannst das Bett nie mehr verlassen, aber wir werden dich überall hinbringen, wohin du willst.
Auch nach Deutschland? dachte sie.
Sie sah Wolfgang in das entspannte Gesicht. Kiwrins Geschichten wirkten in ihm nach. Sie kniff die Lippen entschlossen zusammen.
Nein! Nicht mehr nach Deutschland.
Acht Wochen lag Weberowsky im Krankenhaus von Ust-Kamenogorsk. Erna, die Kinder, der Pfarrer und Kiwrin waren zurück nach Atbasar gefahren, und sie brauchten diesmal drei Tage, weil der Bus den Auspuff verlor, ein Reifen sich in Fetzen auflöste und zweimal das Kühlwasser kochte. An der vierten Tankstelle kam es zu einer Schlägerei. Als der Tankwart den Bus halten sah, stürzte er aus seinem Häuschen, eine Eisenstange in der Hand. Da zeigte Hermann, was er in der Boxstaffel der Universität gelernt hatte. Mit fünf Hieben legte er den rabiaten Tankwart auf den Boden, aber vorher erhielt Kiwrin am Kopf noch eine Beule, weil er, Hermann zu Hilfe eilend, in die schwingenden Fäuste des Tankwartes geriet.
Aber sie erreichten Atbasar in bester Gesundheit. Kiwrin fuhr sie noch nach Nowo Grodnow, kehrte dann zum Fuhrpark der Stadt Atbasar zurück, stellte den Bus mitten auf dem Parkplatz ab und wartete, bis der Fahrzeugmeister zu ihm kam.
»Da sind Sie ja wieder«, meinte der erfreut. »Na, wie war die Fahrt? Wie sieht es da unten aus? Waren Sie auch an der chinesischen Grenze?«
»Ich brauche zehn Stangen Dynamit«, antwortete Kiwrin finster.
»Dynamit? Wozu denn?«
»Ich muß dieses Aas von Bus in die Luft sprengen!«
Der Wagenmeister starrte Kiwrin voll Entsetzen an. »Michail Sergejewitsch«, rief er, »was hat Ihnen mein Adlerchen getan?«
»Adlerchen?! Ein blinder Uhu ist er! Dynamit her!«
»Adlerchen mag alt sein, alt werden wir alle. Kann ich Sie in die Luft sprengen, wenn Sie klappernd am Stock gehen? Besorgen Sie mir einen besseren Bus! Dann stelle ich Adlerchen als Laube in meinen Garten. Von Atbasar nach Ust-Kamenogorsk und zurück … so einen weiten Weg ist er noch nie gefahren! Immer nur durch die Stadt. Bus Nummer 1 war er. Darauf war er stolz. Und nun, auf einmal, im geruhsamen Alter, diese irre Strecke. Man muß das psychologisch sehen –«
Kiwrin ließ ihn stehen und ging wortlos davon.
Es gibt mehr Verrückte, als wir ahnen, dachte er. Eines Tages ist die ganze Welt meschugge … wird das ein Leben! Und er freute sich, daß er so normal war.
In Ust-Kamenogorsk blieb Professor Frantzenow zurück. Dr. Anissimow entließ ihn so früh wie möglich aus dem Krankenhaus. Weberowsky hatte den Schuß überstanden, die Wunde hatte sich geschlossen, sie näßte nicht mehr und brauchte nicht mehr ausgesaugt zu werden. Ein Teil der Schläuche wurde entfernt, nur die Monitore blieben angeschlossen; die Infusionen wurden reduziert, und dann kam der Tag, an dem Anissimow an Weberowskys Bett saß, eine Schwester eine lauwarme Suppe brachte und Anissimow sagte:
»So, und jetzt wollen mir mal sehen, wie es mit dem Schlucken ist.«
Die Schwester hob Weberowskys Kopf an, und Anissimow selbst hielt ihm die Schnabeltasse an die Lippen und schob den Stutzen in seinen Mund. Vorsichtig kippte er die Tasse, ein wenig Suppe lief in den Mund.
»Schlucken«, sagte Anissimow.
Und Weberowsky schluckte. Es ging mühelos, er trank die ganze Tasse Suppe aus. Anissimow atmete auf und klopfte Weberowsky erfreut auf die Schulter.
»Hervorragend! Fabelhaft!« sagte er. »Ab heute essen Sie normal. Die Ernährungssonde können wir vergessen. Schwester Larissa wird Sie füttern.«
»Warum kann ich nicht allein essen? Warum kann ich meine Arme noch nicht heben?« Weberowsky sah
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