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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Wolfgangowitsch, kommt Iwetta nicht, zu Iwetta kannst du nicht wegen der neugierigen Nachbarn – die Mäuler würden sie sich zerfetzen –, und in Atbasar ein Zimmer mieten, ist zu weit und zu teuer. Hier stört euch niemand, wenn ihr euch nicht durch den Geruch stören laßt. Übermorgen konservieren wir Fische, frisch vom Aral-See, aber es stinkt.«
    Hier nun trafen sich Hermann und Iwetta jeden zweiten Abend. Sie schliefen miteinander auf dem alten Sofa, das knirschte und gebrochene Federn hatte, aber sie waren glücklich und sagten immer wieder: »Es kann kein anderes Paar auf der Welt geben, das sich so liebt wie wir.«
    »Vater hat gestern von Kiwrin erfahren: Die Anträge zur Ausreise nach Deutschland werden von den deutschen Konsulaten und der Botschaft in Moskau ausgegeben. Jetzt will Vater nach Alma-Ata fahren zum deutschen Generalkonsulat, und wir alle sollen mitkommen.«
    »Willst du denn nach Deutschland?« Iwetta hatte ihren Kopf an seine Brust gelegt und zupfte an Hermanns Brusthaaren.
    »Nur, wenn du mitfährst.«
    »Du könntest mich tatsächlich verlassen?«
    »Ich könnte dich nie verlassen, das weißt du.«
    »Und du weißt, daß ich Rußland nie verlassen werde.«
    »Überleg es dir, Iwettaschka. Es wird ein herrliches Leben werden. Brauchst du ein neues Kleid, du kannst unter Tausenden wählen. Möchtest du neue Schuhe haben, die schönsten Modelle stehen bereit. Es gibt nichts, wirklich nichts, was du nicht kaufen kannst. Wie lange wartest du auf ein Auto? Zehn Jahre … und dann nur mit einem Haufen Anträge. Stell dir vor: Du gehst in ein Autogeschäft, zeigst auf einen Wagen, sagst: Den will ich, und schon hast du ihn. Das ist Deutschland, mein Schatz.«
    »Es ist nicht Rußland. Habt ihr einen so weiten Himmel wie wir? Wo leuchten bei euch die Birken so wie bei uns? Habt ihr die endlosen Felder, deren Ähren sich wie ein goldenes Meer bewegen, wenn der warme Wind über sie streicht? Wie kann ich so etwas verlassen?«
    »Weil du mich liebst.«
    »Das kann ich auch sagen: Bleib hier, weil du mich liebst.«
    »Ich will, daß du glücklich wirst.«
    »Ich bin glücklich. Hier auf dem Land, in meiner Fabrik, in diesem Lagerraum. Brauche ich mehr? Brauche ich tausend Kleider und tausend Schuhe und ein Auto, das ich mitnehmen kann? Was nützt mir der schönste Pelz, wenn ich darin friere, und ich werde in Deutschland frieren. Mein Liebster, ich gehöre hierher, nach Kasachstan. Ich habe meinen Vater nie gekannt, meine Mutter starb an der Lungenkrankheit und liegt in Karaganda begraben. Mit sieben Jahren war ich allein und wurde herumgestoßen, von fremden Leuten zu fremden Leuten, und immer hieß es: Wir haben kaum genug zu essen für uns, wir können nicht noch einen anderen ernähren. Und wieder kam ich zu einer anderen Familie und mußte auch da wieder weg, bis mich die Partei in ein Heim steckte. Da hatte ich ein Bett, ich konnte von einem vollen Teller essen, bekam ein blaues Leinenkleid und feste Schuhe. Das Leben war plötzlich schön.« Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre runde, feste Brust. »Ich kann doch dieses Land nicht verlassen, sieh es doch ein, Liebling.«
    »Aber mein Vater, meine Mutter und Eva …«
    »Liebst du deine Familie oder mich?«
    »Ich liebe beide …«
    »Aber entscheiden mußt du dich. Du bist doch auch hier geboren. Was bist du denn, ein Deutscher oder ein Russe?«
    »Gottlieb würde sagen: Ich bin ein Mensch. Das ist genug. Ich brauche keinen Stempel, um zu wissen, wohin ich gehöre.«
    »Er ist ein kluger Mensch, dein Bruder. Du solltest so denken wie er. Wir werden hier leben und glücklich sein mit dem, was wir haben. Und wir haben alles Glück auf dieser Welt … wir haben uns.«
    An diesem Abend kam Hermann nicht nach Hause. Erna, die sein Abendessen warm gestellt hatte, blickte hinüber zu Wolfgang, der auf der Eckbank saß und die Zeitung Neues Leben las.
    »Er kommt nicht«, sagte sie leise.
    Die Wirkung des Moskauer Angebots, die Rußlanddeutschen nach Deutschland aussiedeln zu lassen oder ihnen an der Wolga eine autonome Republik zu geben, wenn sie nicht mehr in Sibirien und Zentralasien bleiben wollten, war nicht vorauszusehen. Während in Bonn das Außen- und das Innenministerium Pläne und Ausführungsbestimmungen für die Umsiedlung von geschätzten zwei Millionen Deutschstämmigen erarbeiteten und es intern hieß: »Da haben uns die Russen aber ein dickes Ei ins Nest gelegt«, erwachte in Kasachstan der alte Haß.
    War der Stolz von Nowo

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