Westwind aus Kasachstan
aber Sie tun es nicht. Sie sind viel zu klug, um nicht die Konsequenzen zu erkennen.« Ludwig lächelte breit und freundlich und entfaltete seine Serviette.
»Ich sehe, unser Loup de Mer kommt. Und der Montrachet. Ich gestehe, ich habe eine richtigen Hunger nach unserem angenehmen Gespräch –«
Vier Tage zögerte Karl Köllner, ehe er sich entschloß, Ludwig unter der angegebenen Nummer anzurufen. Es meldete sich ein kleines Hotel in Bonn, und das Gespräch wurde auf das Zimmer zu Herrn Ludwig Hallgruber gelegt.
Als Hallgruber reist er also herum, dachte Köllner. Natürlich ist der Name, wie alles an ihm, falsch. Aber ich garantiere, daß er einen gültigen deutschen Paß auf den Namen Ludwig Hallgruber hat, der zu keinerlei Verdacht Anlaß gibt.
Vier Tage lang hatte Köllner mit sich gerungen. Da waren drei Dinge, die ihn beschäftigten. Zum einen: Im Ministerium würde man ihm anhand der Fotos kaum noch etwas glauben. Seine Karriere war beendet. Ein Diplomat, der sich mit einer nackten, ekstatischen Frau im Bett fotografieren ließ, konnte seinen Hut nehmen und sich davonschleichen. Zum zweiten: Das so geliebte Wohlleben, die Üppigkeit des Genießens waren vorbei. Statt Gänseleber mit Trüffeln nur noch Leberkäse, statt eines Puis fume nur noch ein Glas Kölsch, statt Empfänge in Smoking oder Frack nur noch eine Stunde auf einer Parkbank. Und zum dritten: Wenn er das Amt unterrichtete, konnte er damit rechnen, liquidiert zu werden. Der KGB hatte hundert Möglichkeiten, ihn auszuschalten. Aber er wollte leben … das war das mindeste, was er verlangte. Leben!
Das Treffen zwischen Ludwig und Köllner fand wieder in der Casselshöhe statt. Es schien Ludwigs Stammlokal zu sein. Sie begrüßten sich wie alte Freunde, unbefangen und herzlich.
»Ich wußte, daß wir uns wiedersehen werden«, sagte Ludwig fröhlich. »Für heute bietet der Küchenchef eine Spezialität an: Kalbsnüßchen auf chinesischen Pilzen in Safransoße. Schon der Gedanke daran läßt mir den Mund wäßrig werden. Vorweg: Sind wir uns einig?«
»Im großen – ja.«
»Dann wollen wir uns mit den Details beschäftigen. Karl, so darf ich Sie jetzt wohl nennen, ich freue mich über unsere Freundschaft.«
Das war, wir wissen es jetzt, vor sieben Jahren.
Jetzt blätterte der Präsident des BND in Pullach die Akte Köllner durch und las die Berichte der Observationen. Ein dummer Zufall hatte die Spionageabwehr auf Karl Köllner aufmerksam werden lassen. Ein Zahlungsbefehl einer Bonner Bank, weil er drei Monate nicht die Raten für sein neues Auto bezahlt hatte. Eine Kopie des Zahlungsbefehles hatte man sicherheitshalber auch an sein Büro geschickt. Dort öffnete die Sekretärin Gisela Schulte den Brief. Ein Referent des Auswärtigen Amtes mit Zahlungsbefehl? Zum erstenmal tauchte der Name Köllner bei der internen Überwachung auf. Und dort war man verblüfft, als bei einer Rückfrage bei der Bank bekannt wurde, daß Köllner die drei Raten zwei Tage später voll nachgezahlt hatte – obwohl sein Konto leer war.
Woher hatte Köllner plötzlich so viel Geld, das nicht über sein Bankkonto lief?
Der BND und der Staatsschutz in Köln schalteten sich ein. Die Beobachtung Köllners war angelaufen und jetzt beendet. Die Beweise genügten, ihn als sowjetischen Spion zu enttarnen.
»Hat Köllner noch Verwandte?« fragte der Präsident. »Auch sie könnten Kontaktpersonen sein.«
Egon Kallmeier beugte sich vor, sagte: »Gestatten Sie!« und schlug eine Seite weiter hinten auf.
»Nach unseren Erkenntnissen lebt nur noch eine Tante von Köllner, die Schwester von Köllners Mutter. Es ist eine Frau Weberowsky, Bäuerin in Nowo Grodnow in Kasachstan. Es war äußerst schwierig und zeitraubend, das herauszufinden. Köllners Mutter ist wie Frau Weberowsky eine geborene Frantzenow, lernte in Leningrad den Turbinenbau-Ingenieur Kurt Viktorowitsch Köllnerow kennen und heiratete ihn. Nach dem frühen Tod des Vaters ist Köllners Mutter mit dem sechsjährigen Jungen nach Westdeutschland ausgereist – mit Erlaubnis der Sowjetunion. Die Frantzenows gehören zur Volksgruppe der Wolgadeutschen, die Stalin 1941 zwangsweise nach Zentralasien umsiedelte.«
»Und die heute zum großen Teil zurückwollen.«
»Es gab da noch einen Bruder von Erna Weberowsky: Andrej Valentinowitsch Frantzenow. Atomphysiker. Eine Kapazität auf seinem Gebiet.«
»Sieh an!«
»Über diesen Professor Frantzenow war es erst möglich, Köllners Tante in Nowo Grodnow auszumachen.
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