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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Grodnow der große amerikanische Mähdrescher, um dessen Besitz das Dorf im weiten Umkreis beneidet wurde, so war die Sowchose ›Bruderschaft‹ besonders stolz auf den Besitz eines Fotokopiergerätes. Semjon Bogdanowitsch Zirupa hatte es aus Alma-Ata mitgebracht und keinem verraten, wie er an diesen wertvollen Apparat gekommen war. Nachdem er die ersten Kopien vorgeführt hatte – dazu war die gesamte Mannschaft der Sowchose versammelt –, erklärte er das Gerät zur Druckerei, und von nun an hieß es, die ›Bruderschaft‹ habe eine eigene Druckerei.
    Genau betrachtet war diese Bezeichnung für einen Kopierer gar nicht so abwegig, denn alles, was Zirupa früher durch handgeschriebene Anschläge am Verwaltungsgebäude aushing – die die wenigsten lasen aus purer Faulheit –, vervielfältigte er jetzt und ließ es an jeden verteilen. Es gab keine Ausrede mehr: »Genosse, ich habe es nicht gelesen.« Auch politische Schulung wurde auf diese Art verbreitet, was dazu führte, daß neben dem Stolz, eine eigene ›Druckerei‹ zu besitzen, auch stille Flüche hinzukamen. Zirupa hielt nämlich alle vierzehn Tage im großen Versammlungsraum Prüfungen ab, um zu sehen, ob auch jeder die Informationen gelesen und verstanden hatte.
    Nachdem nun Gorbatschows Absichten, die vom russischen Präsidenten Jelzin unterstützt wurden, die Rußlanddeutschen in die deutsche Heimat ziehen zu lassen, bekanntgeworden waren, kam eines Morgens die ›Heldin der Nation‹ und ehemalige Scharfschützin Katja Beljakowa zu Zirupa und machte den Vorschlag, das Kopiergerät als Waffe einzusetzen.
    »Semjon Bogdanowitsch«, rief sie mit vor Leidenschaft zitternder Stimme, »jetzt ist die Zeit gekommen, den hochnäsigen Deutschen zu sagen, daß wir sie nicht brauchen! Stellen wir Flugblätter her, verteilen wir sie im ganzen Land, erschlagen wir sie mit Worten, gegen die sie sich nicht wehren können. Ha, eine Idee habe ich, sie nervös zu machen wie einen gejagten Fuchs! Hör einmal zu …«
    Die alte Beljakowa, deren Haß nach der ›Schlacht von Nowo Grodnow‹ besonders Wolfgang Weberowsky galt, entwickelte eine solche Fülle von Propagandasprüchen, daß Zirupa am Ende ihrer Vorschläge fast erschöpft sagte: »Katja, das ist grandios! Woher hast du das?«
    »Ich war im Großen Vaterländischen Krieg, da hast du noch in den Windeln gelegen. Und im Krieg lernt man, auch mit Worten zu schießen. Wir hatten damals an der Front eine Abteilung Propagandisten bei uns, die mit Lautsprechern die Deutschen bedrängten, überzulaufen zu uns. Was haben die nicht alles versprochen! Gutes Leben, Mädchen im Bett, tausend rote Lippen warten auf euch und so einen Blödsinn weiter, und einige der Deutschen glaubten es, warfen ihre Gewehre hin und rannten zu uns hinüber. Was sie zunächst bekamen, war ein Tritt in den Hintern, dann haben wir ihnen alles abgenommen, vor allem die Uhren, und dann schaffte man sie weg in ein Lager. Im Krieg gibt's keine Moral, aber das versteht so ein kleiner Scheißer wie du nicht.« Sie holte tief Atem. »Was hältst du davon? Machen wir es wie im Krieg. Schlagen wir die Deutschen mit der Propaganda!«
    »Wir können es versuchen, Katja«, antwortete Zirupa vorsichtig. »Eine Menge Papier werden wir verbrauchen.«
    »Ist das die Sache nicht wert? Zittern sollen sie und haufenweise zu den Meldestellen laufen. Überlaß das nur mir … Du brauchst nur zu drucken.«
    Und so geschah es, daß eine Woche später Flugblätter über das Land flatterten, verteilt von Arbeitern der Sowchose, in denen stand:
    »Endlich, endlich sagt man den Deutschen, daß sie in Kasachstan nur geduldet waren, weil Moskau es so wollte. Sie waren immer Fremde im Land, auch wenn sie sich einbildeten, hier eine Art Heimat zu haben. Russen, Kasachen, wehrt euch gegen diese Eindringlinge! Vor fünfzig Jahren überfielen ihre Brüder unser Mütterchen Rußland und töteten über dreizehn Millionen unserer Väter und Söhne, vernichteten das Land und nannten uns Untermenschen.
    Vergeßt das nicht! Der gleiche Geist wohnt auch im Herzen eurer deutschen Nachbarn. Sie sprechen deutsch, sie beten deutsch, sie tanzen deutsch, sie singen deutsch … was haben sie bei uns zu suchen? Sie sind ein Stachel in unserem Fleisch. Russen, zieht diesen Stachel heraus! Sagt ihnen: Raus aus unserem heiligen Land!«
    »Das ist meisterhaft formuliert, Katja!« sagte Zirupa anerkennend bei diesem ersten Flugblatt. »Nur, was wird die Regierung dazu sagen? Wie wird vor allem

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