Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
du denn, daß die deutschen Behörden uns bei einem solchen Fragebogen ins Gelobte Land lassen? Die merken doch schon bei den ersten Antworten, daß du sie gegen das Schienbein trittst.«
    »Wer so dämliche Fragen stellt, gehört nicht anders behandelt.«
    »Du vergißt nur eins, Vater«, schaltete sich Hermann ein. »Wir bitten um Aufnahme in Deutschland, wir stellen den Antrag auf Aussiedlung! Deutschland hat uns nie gebeten zu kommen. Es ist froh, wenn wir hier bleiben. Darum der Fragebogen, der für viele unausfüllbar ist. Man verlangt Beweise, die gar nicht zu erbringen sind. Schon der Nachweis, ob die junge Generation – also wir – deutsch spricht, kann nicht ehrlich beantwortet werden. Wir sprechen russisch besser als deutsch. Schreibst du das hinein, werden nicht nur wir als ›Nicht mehr Deutsche‹ abgelehnt, sondern die ganze Familie, also auch du und Mutter. Der ganze Fragebogen ist nichts als ein Filter und eine Bremse. In diesem raffinierten Netz bleiben Hunderttausende hängen. Das hat System, ist beste deutsche Beamtenarbeit. Siehst du, wir sprechen jetzt russisch miteinander, auf deutsch bekäme ich von all dem keine drei Sätze zusammen.«
    »Das ist ja die Tragödie unserer Familie!« schrie Weberowsky auf. »Meine Kinder haben verlernt, Deutsche zu sein!« Er warf den Fragebogen auf die Eckbank und sah seine Söhne und die Tochter aus zusammengekniffenen Augen an. »Aber das kann man ändern.«
    »Und wie?« fragte Gottlieb kampfeslustig.
    »Ihr lernt wieder Deutsch.«
    »Das wird ein frommer Wunsch bleiben, Vater«, antwortete Hermann. »Du glaubst doch wohl nicht, daß ich als diplomierter Ingenieur noch einmal eine Schulbank drücke.«
    »Das ist auch nicht nötig, mein hochnäsiger Sohn!« Weberowsky begann wieder innerlich zu glühen. »Vom Kulturzentrum in Ust-Kamenogorsk kann ich mir für unseren Fernseher einen Videorecorder leihen und Kassetten mit einem kompletten deutschen Sprachkurs. Dann werden wir hier jeden Abend sitzen und gemeinsam Deutsch lernen!«
    »Warum?«
    »Weil ihr Deutsche seid!« brüllte Weberowsky. »Weil wir in die alte Heimat heimkehren!«
    »Er begreift es einfach nicht.« Gottlieb stand auf. »Es hat auch gar keinen Zweck, darüber zu sprechen.«
    »Wo willst du hin? Ich bin noch nicht fertig.«
    »Aber ich.«
    »Wohin gehst du um diese Zeit?«
    »Ich bin zweiundzwanzig Jahre alt, und ich gehe, wann und wohin ich will.«
    »Solange du an meinem Tisch sitzt und ißt, will ich wissen, was um mich herum geschieht.«
    »Das kann man ändern.« Gottlieb blieb trotzig in der Tür stehen. »Sag, ich will dich nicht mehr, dann siehst du mich auch nicht mehr.«
    »Und was tut dann mein zukünftiger Chefarzt?«
    »Bis ich die Zuweisung zur Universität bekomme, werde ich nicht verhungern. Es gibt Arbeit genug.«
    »Und jeder wartet auf Gottlieb Wolfgangowitsch Weberowsky. Aber bitte. Geh, geh, wenn dir dein Elternhaus so widerlich ist!«
    Ohne Antwort verließ Gottlieb das Haus. Erna und Eva verhielten sich still. Vater nur nicht noch mehr reizen, dachten sie. Warum hat Gottlieb seine Freude daran, mit Worten um sich zu schlagen? Noch ist doch gar nicht entschieden, ob man uns in Deutschland will, ob man uns einreisen läßt. Und die Entscheidung wird nicht vor einem Jahr bei uns eintreffen. Wer weiß, wie die Welt in einem Jahr aussieht? Wie schnell, wie rasend hat sie sich in den letzten Monaten verändert! Sowjetrußland ist inzwischen endgültig zusammengebrochen, Lenins Traum ist zu einem historischen Debakel geworden, die Weltmacht, die Angst und Schrecken verbreitet hat, zerstörte sich selbst. In Zukunft wird es das Riesenreich nicht mehr geben. Es wird in lauter kleine Staaten zerfallen, und es wird die jetzt immer wieder diskutierte Föderation bilden. Was haben da 1,8 oder 2 Millionen Rußlanddeutsche für eine Bedeutung?
    »Willst du den Fragebogen wirklich in dieser Form abgeben, Vater?« unterbrach Hermann das gefährliche Schweigen.
    »Denkst du, ich habe mir die Mühe, alles zu beantworten, umsonst gemacht?«
    »Das sind keine Antworten, das ist dickster Hohn.«
    »Anders kann man die Fragen nicht beantworten. Wenn unsere Vertreibung von der Wolga und unser jahrzehntelanger Existenzkampf in Kasachstan den deutschen Beamten nicht genügen, dann sollte man auf diesen Fragebogen spucken! Was verlangt man eigentlich von uns? Daß man uns hier die Köpfe abschlägt und wir mit dem Kopf unterm Arm zu den deutschen Behörden kommen und sagen: Dürfen wir jetzt

Weitere Kostenlose Bücher