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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kosten des Staates Medizin studieren soll und ich nur Freunde habe. Das soll man mir ins Gesicht sagen: Abgelehnt. Ihr Nachwuchs zeigt nichts von deutscher Brauchtumspflege.«
    »So wird es kommen, Wolfgang Antonowitsch. Und du änderst es nicht. An dieser Mauer wirst du dir den Kopf einrennen.«
    »Das wollen wir sehen.«
    »Versuch es erst gar nicht. Die Behörden sind stärker als du. Und gelingt es wirklich, sie zu überzeugen, dann werden sie dich drei Jahre zappeln lassen. Und dagegen kannst du gar nichts tun, bei den zahllosen Anträgen. Du kannst dem Staat kein Arbeitstempo vorschreiben.« Kiwrin schob Weberowsky das dicke Formular wieder zu. »Füll es aus oder nicht, aber laß mir meinen Frieden. Weißt du übrigens, daß Zirupa bei der Regierung in Alma-Ata Rubel beantragt hat, um deinen Hof zu kaufen?«
    »Ehe er ihn bekommt, stecke ich ihn an!« schrie Weberowsky. Sein Lebenswerk in den Händen Zirupas! Das Haus, das Erna und er gebaut hatten, mit eigenen Händen. Er dachte daran, wie Erna das Dachholz gesägt hatte, wie sie Steine geschleppt, wie sie das erste Dach aus Reisern geflochten und wie sie stundenlang Sand gesiebt hatte und das alles ohne ein Wort der Klage. Und dieses Haus wollte Zirupa jetzt kaufen und der Sowchose ›Bruderschaft‹ eingliedern?
    »Abbrennen würde ich es nicht«, sagte Kiwrin. »Das kostet dich ein paar Jahre Gefängnis in Sibirien. Und dann hast du nichts mehr. Kein Haus und keinen Ausreiseantrag. Und enteignet wirst du auch, und Zirupa kassiert dein Land, ohne einen einzigen Rubel klingeln zu lassen. Was du alles in deinem Gehirn herumwälzt, mach Platz für einen guten Rat: Bleib hier.«
    Weberowsky antwortete nicht, riß das Ausreiseformular an sich und stapfte hinaus. Draußen auf dem Vorplatz stieß er auf Zirupa, der sofort auf ihn zustürzte.
    »Ich höre, du willst auch weg nach Deutschland? Ich habe aus Alma-Ata eine Vollmacht bekommen. Ich biete dir für deinen Hof 40.000 Rubel!«
    Wortlos schob er den aufgeregten Zirupa einfach zur Seite, ging in die gegenüberliegende Wirtschaft und bestellte sich ein Bier.
    Chinesisches Bier in Dosen. Die Grenze nach China war näher als jede sowjetische Brauerei. Er war ein gutes Bier, aus Mais gebraut.
    Weberowsky setzte sich an einen Holztisch, der blank gescheuert war, goß das hellgelbe Bier in ein Wasserglas und trank.
    Seit neun Tagen saß Weberowsky über dem dicken ›Antrag auf Aufnahme als Aussiedler‹ und schüttelte immer wieder den Kopf. Fragen über Fragen, die er wahrheitsgemäß nicht beantworten konnte. Schließlich flüchtete er in die Ironie und schrieb unter ›Pflege deutschen Volkstums‹:
    »Wir feiern jedes Weihnachten und Ostern. Ich bin der Weihnachtsmann, mein jüngster Sohn spielt den Osterhasen. Die Eier legen vierzehn Hennen von mir. Nach dem Eiersuchen singen wir alle gemeinsam ›Am Brunnen vor dem Tore …‹ und freuen uns auf das Osterlammbrot, das meine Frau nach altem deutschen Rezept gebacken hat.«
    »Das muß genügen!« sagte Weberowsky laut. »Das treibt einem Tränen in die Augen.«
    Der Gesamtkomplex, ob er wegen seiner deutschen Abstammung zu leiden hatte, machte Weberowsky besonders wütend. Er schrieb:
    »Abgesehen davon, daß wir 1941 von Stalin nach Kasachstan und Sibirien zwangsumgesiedelt wurden, man uns unsere Höfe wegnahm, das Vieh, alles, was meine Vorfahren seit 1806 an der Wolga aufgebaut haben, wurde unserer Familie in den letzten vierzig Jahren folgendes Leid angetan: Dreimal wurde ein Huhn gestohlen. Unserer Kuh Bascha schnitt man nachts den Schwanz ab. Ein böser Kasache gab unserem Hund Flockie einen Tritt in den Hintern. Bei einer Auseinandersetzung in der Schule wurde meinem ältesten Sohn Hermann der Schulranzen zerstört. Die ›Heldin der Nation‹ Katja Beljakowa beschimpfte mich auf das übelste. Seitdem grüßt sie mich nicht mehr.«
    Zufrieden mit seinem Spott ackerte Weberowsky den dicken Fragebogen durch. An einem Abend, an dem die ganze Familie anwesend war, was in letzter Zeit sehr selten vorkam, machte er sich die Mühe, seine Antworten vorzulesen. Schweigend hörten alle zu, bis er die letzte Frage zitiert hatte. Weberowsky ließ den Fragebogen sinken und blickte seine Familie an.
    »Na, was haltet ihr davon?« fragte er.
    »Bravo!« antwortete Gottlieb.
    Daß gerade Gottlieb ihm Beifall zollte, machte Weberowsky plötzlich nachdenklich und vorsichtig.
    »Was heißt hier bravo?« entgegnete er.
    »Wir bleiben also hier?!«
    »Wieso?«
    »Ja glaubst

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