Westwind aus Kasachstan
das Podium verließ und sich in sein Büro zurückzog. Er wäre nie zu ihm vorgedrungen, wenn er nicht seine Freundschaft mit Kiwrin betont hätte, der wiederum ein Freund von Bergerow war.
Nun saßen sie sich gegenüber, und Weberowsky sagte:
»Es stimmt also nicht, daß jede Familie einzeln zur Botschaft muß, um dort den Antrag auszufüllen?«
»Nein, es stimmt nicht. Du kannst den Antrag hier bei uns bekommen. Du füllst ihn aus, und wir schicken ihn nach Alma-Ata. Das deutsche Generalkonsulat wird ihn weiterreichen nach Moskau zur Botschaft, und die schickt die Anträge nach Köln, zum Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge. Dort werden die Anträge geprüft und kontrolliert, ob alle verlangten Nachweise auch vorhanden sind.«
»Und wie lange dauert das?«
»Wenn du Glück hast, wird dein Antrag in vier Monaten bewilligt. Aber das ist eine Ausnahme bei Härtefällen. Normal dauert das Verfahren ein Jahr … es können auch zwei Jahre werden.«
»Das heißt –« Weberowsky starrte Bergerow fassungslos an.
»Ja, das heißt es.«
»Ich will als Deutscher nach Deutschland, und die machen drüben zwei Jahre lang die Tür zu?!«
»So kann man es nennen. Sie sind jetzt besonders gründlich, nachdem man mit den Asylbewerbern schlechte Erfahrungen gemacht hat.«
»Ich bin kein Asylant, ich bin ein Deutscher, der in seine Heimat will!« schrie Weberowsky. Sein bisheriges Bild von Deutschland begann fleckig zu werden. »Meine Vorfahren kommen aus dem Hessischen.«
»Das mußt du erst beweisen.«
»Wie denn? Es gibt doch keine Dokumente mehr! Es ist eine Überlieferung. Das einzige, was ich zeigen kann, ist eine Bibel, die mein Großvater uns schenkte. Da steht drin: Johannes Weberowsky, Grodnow an der Wolga. Ukraine.«
»Das kann jeder reinschreiben, das ist für die Beamten kein Beweis. Man will ja auch gar nicht die Jahrhunderte zurück. Im Fragebogen steht, daß nachgewiesen werden muß, wo sich deine Familie von 1930 bis heute befunden hat. Nachweis aller Wohnorte durch die örtlichen Behörden. Da sind sich die Amtsstellen von Kasachstan, Rußland, Ukraine und natürlich Deutschland einig.«
»Das ist einfach. 1930 hatten wir einen Bauernhof in Grodnow. Mein Vater Anton hatte zehn Kühe im Stall.«
»Da hast du Glück, Wolfgang. Eine Bescheinigung des Bürgermeisters von Grodnow genügt.«
Weberowsky nickte schwer. »Wer soll sie ausstellen? Beim Vormarsch der deutschen 6. Armee auf Stalingrad ist Grodnow völlig zerstört worden. Man hat es nicht wieder aufgebaut. Ein Stahlkombinat steht auf dem Land. Unter dem Artilleriebeschuß sind damals alle Akten und Dokumente vernichtet worden.«
»Scheiße!«
»Du sagst es, Ewald.«
»Es kann also niemand bescheinigen, daß ihr 1930 in Grodnow an der Wolga gewohnt habt?«
»Wer? Es gibt Zeugen, unsere Nachbarn, die jetzt auch wieder unsere Nachbarn in Nowo Grodnow sind. Sie können beschwören …«
»Und die euch wiederum auch als Zeugen brauchen.« Bergerow schüttelte den Kopf. »Das kann schiefgehen, Wolfgang. Man wird sagen: Da schwört einer für den anderen in schöner Eintracht, und so wandert der Eid reihum …«
»Ich bin kein Betrüger!«
»Bei Unklarheiten solcher Art setzen die deutschen Behörden immer das Schlimmste voraus. Mißtrauen ist immer die erste Tür, die man eintreten muß, ehe man sich mit dir näher beschäftigt.«
»Das heißt, mein Antrag würde wegen dieser Kleinigkeit nicht bewilligt?«
»Auf jeden Fall bedeutet es: Nachweis nicht erbracht. Und schon behinderst du den Ablauf des Verfahrens. Das hat kein Beamter gern.«
»Was muß ich sonst noch alles beweisen?« fragte Weberowsky mit mühsam beherrschter Stimme. Seine Brust schmerzte. Gleich platze ich, dachte er. Gott, gib mir Kraft, mich zu beherrschen.
»Lies es durch. Ich gebe dir den Fragebogen mit.« Bergerow zuckte mit den Schultern. »Ich kann nichts anderes machen als zu protestieren. Aber sie halten mich in Bonn sowieso für einen Querkopf. Wenn du von draußen kommst, vor allem aus Rußland, ist es eben schwer in Deutschland zu beweisen, daß du ein Deutscher bist. Und bist du in der alten Heimat, wirst du ein Mensch zweiter Klasse bleiben. Eine Generation mindestens wird es dauern, bis ihr integriert seid. Schon wenn du fragst: ›Uo ist Härr Krämmär‹, siehst du in den Augen der anderen: Aha, auch einer von drüben …«
»Gib mir den Fragebogen, Ewald«, sagte Weberowsky hart und erhob sich. »Ich möchte dem gegenüberstehen,
Weitere Kostenlose Bücher