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Westwind aus Kasachstan

Westwind aus Kasachstan

Titel: Westwind aus Kasachstan Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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vorauszusehen.
    »Milizeinheiten werden gleich hinter ihm hersein!« rief Kiwrin ins Telefon. »Ich selbst fahre ihm auch nach. Wir werden ihn erschießen!«
    »Kiwrin wird ihn erschießen lassen«, berichtete Wladimir und legte auf. Slatin sank auf seinen Stuhl zurück. »Welch ein unwürdiger Tod!« schnaufte er.
    »Im Schlachthaus hätten sie ihn auch mit einem Bolzen erschossen.«
    »Ein ehrlicher, anständiger Tod durch einen Metzger. Das ist etwas anderes, als von der Miliz gejagt und erschossen zu werden. Wie ein Schwerverbrecher! Samson ist kein Schwerverbrecher.«
    »Warte ab, was er noch alles anstellt. Stell dir vor, er rennt eine Frau mit Kind um, eine kleine, junge, hübsche Frau mit einem Kind, das schwarze Locken hat. Er mordet sie dahin mit seinen Hörnern und seinen Hufen. Man muß ihn erschießen, Slatin.«
    Kiwrin war unterdessen in einen Polizeijeep gesprungen und fuhr dem rasenden Bullen entgegen. Über Sprechfunk kannte er genau die Position. Samson kam direkt auf sie zu.
    »Gewehre bereithalten!« rief Kiwrin.
    »Ist geschehen«, antwortete der Milizionär hinter ihm. »Wo rennt er rum?«
    »Er ist in der Nähe des Parteihauses. Bis jetzt hat er schon drei Autos auf dem Gewissen. Die Menschen flüchten in die Häuser. Ein wahres Ungeheuer muß er sein!«
    »Sollten wir uns nicht an der Seite aufstellen, Michail Sergejewitsch?« fragte der Polizist bedrückt. Der Gedanke, einem so wütenden Stier genau entgegenzufahren, erzeugte ein mulmiges Gefühl im Magen.
    »Warum auf der Seite?« rief Kiwrin.
    »Von … von der Seite habe ich die bessere Schußposition. Dann kann ich besser treffen, als wenn ich nur den Kopf vor mir habe. Der pendelt beim Rennen ja immer hin und her.«
    »Unsinn! Gib mir das Gewehr, wenn wir das Scheusal sehen.«
    Samson, der nach Freiheit und Leben Drängende, mußte wirklich mit einem sensiblen Gefühl ausgestattet sein. Noch bevor er auf den entschlossenen Kiwrin traf, änderte er seine Richtung, warf einen Handkarren mit tönernen Dachziegeln um und begrub den schreienden Besitzer unter dem Scherbenhaufen.
    Neue Meldung an Kiwrin: »Der Stier ist auf dem Weg zum Friedhof.«
    »Das Aas hat sogar Humor!« rief Kiwrin. »Flieht zum Friedhof.« Und plötzlich hob er die Schultern und fuhr langsamer. »Friedhof … auch das noch …«
    »Wie meinen Sie das, Michail Sergejewitsch?« fragte der Polizist. Er reichte Kiwrin das Gewehr. Damit verschaffte er sich die Möglichkeit, in Deckung zu gehen, falls der Bulle ihn sichten sollte.
    »Kann man auf einem Friedhof jemanden erschießen?«
    »Warum nicht?«
    »Wegen der Pietät, du Klotz! Ein Friedhof ist ein Ort des Friedens. Das sagt schon das Wort. Ein geweihter Ort. Erschießt man jemanden auf geweihter Erde?!«
    »Es ist ja nur ein Bulle. Ein Tier.«
    »Aber ein Geschöpf Gottes!«
    Die Wandlung des Genossen Kiwrin nach Gorbatschows Reformen war wirklich sehenswert. Hatte er früher getönt, die Kirche sei nur für alte, halbblinde und am Stock humpelnde Menschen da, deren Geist sich altersmüde langsam verdunkelte, so legte er jetzt Wert darauf, sonntags und feiertags in der ersten Reihe der Kirche gesehen zu werden, wie er das goldene Kreuz küßte, das ihm der Pope besonders gern entgegenhielt. Bei jedem wichtigen Begräbnis war Kiwrin dabei, begleitete den offenen Sarg bis zum Grab, hatte aufrichtende Worte des Trostes für die Hinterbliebenen und half sogar mit, den Sargdeckel draufzuschrauben.
    »Aber wir können doch nicht den Stier auf dem Friedhof stehenlassen.«
    »Wir müssen ihn herauslocken.«
    »Aber wie?«
    »Mit einer schönen Kuh. Ein echter, gesunder Bulle schnuppert das und vergißt alles andere. Wir müssen sofort eine Kuh besorgen.«
    Wie befürchtet, so geschah es: Samson stürmte in den Friedhof, hielt mitten drin inne und ließ sich dann, doch etwas erschöpft, auf einem Grab nieder. Kiwrin und drei Polizeiwagen blieben vor dem Friedhofseingang stehen, mit entsicherten Gewehren, aber niemand wagte zu schießen.
    »Ausgerechnet auf dem Grab von Jurij Iwanowitsch Zagolow, dem ehemaligen Bürgermeister der Stadt.« Kiwrin faßte sich mit den Händen an den Kopf. »Konnte er keinen anderen Platz finden?!«
    »Eine Kuh!« schrie Kiwrin wieder. »Eine Kuh muß her!«
    »Michail Sergejewitsch, woher sollen wir in Atbasar so schnell eine Kuh auftreiben?« Der Polizist hinter ihm fuchtelte mit dem Sprechfunkgerät herum.
    Samson, der Sensible, schien sich auf dem Grab von Zagolow wohl zu fühlen. Er fraß die

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