Westwind aus Kasachstan
Eindruck, daß er nicht zu denen gehörte, die einen Rubel erst in Kopeken zerlegen, ehe sie ihn ausgeben. Er stellte sich als Boris Olegowitsch Sliwka vor und benahm sich so, als kenne er Professor Frantzenow von Kindheit an.
»Sie wollten mich sprechen?« fragte Frantzenow abweisend. »Ich kenne Sie nicht. Ich habe Ihren Namen noch nie gehört.«
»Was ist ein Name? Ein Schild, das man auswechseln kann. Sliwka ist so ein Name – im Augenblick ist er im Gebrauch.«
»Ich habe keine Zeit, mich über solche Dummheiten zu unterhalten«, erwiderte Frantzenow ungehalten. Er stand auf, um die Tür zu öffnen und den Besucher hinauszubitten, aber Sliwka blieb im Zimmer stehen und lächelte hintergründig.
»Sie haben Zeit, Andrej Valentinowitsch. Darf ich mit einer Frage beginnen? Wieviel Gehalt zahlt Ihnen Rußland?«
»Geht Sie das etwas an?!«
»Ich kenne Ihr Gehalt. Rund 100.000 Nuklearspezialisten arbeiten für Rußlands Vormachtstellung, davon sind ungefähr 3.000 jene Wissenschaftler, die mit den geheimsten Forschungen vertraut sind. Experten der höchsten Geheimhaltungsstufe. Sie sind einer der Topspezialisten. Dafür bekommen Sie vom Staat 1.500 Rubel. Ist das nicht lächerlich, wenn man bedenkt, daß zum Beispiel ein Kilo Rindfleisch schon 150 Rubel kostet. Ein Braten – das Zehntel Ihres Gehaltes!«
»Ich lebe zufrieden!« entgegnete Frantzenow steif.
»Ich kenne einen Staat, der Ihnen im Monat 15.000 Dollar zahlen will.«
Frantzenow schloß die Tür wieder, kam ins Zimmer zurück, wies auf einen Sessel, und beide setzten sich.
»Wer sind Sie?« fragte Frantzenow. Und dann gab er sich selbst die Antwort. »Sie sind ein Agent, einer von den Doppelagenten, die Nurgai in der Stadt vermutet.«
»Ich gebe dazu keine Erklärung, Andrej Valentinowitsch.«
»Wie sind Sie nach Kirenskija gekommen? Bei diesen vollkommenen Sicherheitssperren? Hier wird sogar ein Floh entdeckt.«
»Das war unter anderem auch meine Aufgabe, für eine lückenlose Überwachung zu sorgen.«
»Wie bitte? Höre ich recht … Sie …?«
»In Rußland hat sich vieles geändert. Nichts ist mehr wie früher, die Reformen zerstören viele Einrichtungen, ohne die man in der ehemaligen Sowjetunion nicht auskommen konnte. Viele Dienststellen werden verkleinert oder erhalten andere Aufgaben. Ich habe das bei Gorbatschows Übernahme der Macht im Kreml rechtzeitig kommen sehen und mich etwas seitwärts orientiert.« Sliwka grinste unverschämt. »Nennen wir es so. Ich bin eigentlich ein KGB-Mann –«
»Und jetzt ein Überläufer zu einem westlichen Geheimdienst.«
»Unter anderem. Heute, bei Ihnen, arbeite ich auf eigene Rechnung.«
»Und Sie haben keine Angst, daß ich Sie anzeige?«
»Nein. Sie tun es nicht. Ihr Patriotismus ist gestorben, als Sie von den Toten wieder auferstanden. Die Erkenntnis, was man mit Ihnen getan hat, war ein Schock für Sie. Von dieser Stunde an sind Sie für Rußland ein großes Risiko.«
»Haben Sie auf mich geschossen?«
»Ja.«
»Warum?«
»Als KGB-Mann war es meine Aufgabe, alle Unsicherheiten zu liquidieren.«
»Und jetzt nicht mehr?«
»In Rußland ändern sich jetzt die Situationen von Tag zu Tag. Immer neue Überraschungen dringen aus dem Kreml. Warum soll ich mich selbst nicht überraschen? Ich weiß so ziemlich sicher, daß ich bei einem Personalabbau des KGB auf der Straße sitze. Ganz natürlich ist es dann doch, für die eigene Zukunft vorzusorgen.«
»Indem Sie Nuklearexperten abwerben.« Frantzenow musterte Sliwka eindringlich. Wie ein biederer Mensch sieht er aus. Ein harmloser Buchhaltertyp. Ein Angestellter der mittleren Gehaltsklasse. Nur sein teurer Anzug paßt nicht dazu. »Wer interessiert sich für mich?«
»Oh, Andrej Valentinowitsch … alle Länder, die von einer Atombombe träumen. Iran, Irak, Libyen, Südkorea, Nordkorea, Vietnam … ich möchte sie nicht alle aufzählen. Es wäre langweilig.«
»Sie sind der erste, der mir ein Angebot machen will, Boris Olegowitsch.«
»Weil ich am nächsten bei Ihnen bin. Man weiß ja erst seit kurzem, daß Sie noch leben. Aber das Rennen hat begonnen. Man weiß nur nicht, wie man an Sie herankommt. Die Geheimdienste arbeiten fieberhaft, das weiß ich vom CIA.«
»Ihrem zweiten Arbeitgeber.«
»Vergessen wir das.« Sliwka winkte ab und grinste wieder. »Haben Sie schon mal etwas von Mandi Chamran gehört?«
»Nein.«
»Er ist der Kernwaffenexperte des iranischen Oberkommandos. Seit drei Tagen ist er in Kasachstan. Ich hatte eine
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