When the Music's Over
sich entscheiden.
Auf einmal geriet Bewegung in die Gruppe Neo-Punks – die eigenartige Lähmung wich kreischender Panik – und sie rannten zurück in das hohe Gebäude. Skadi wusste, das war ein Fehler, doch es gab nichts, was sie jetzt noch daran ändern konnte. Sie konnte nur hoffen, dass sie sich geirrt hatte.
Hektisch zerrte der Junge wieder an ihrem Parka und zeigte auf den Eingang. »Komm doch, wir müssen da rein.« Er weinte vor Wut und Panik. »Da drinnen können wir uns verstecken.«
»Da drinnen sitzen wir in der Falle.« Sie zog den Jungen in den Mauerschatten. »Hoffen wir nur, dass sie uns nicht beachten.«
Zum Glück schien der Junge zu verstehen, denn er rührte sich nicht mehr. Gemeinsam versuchten sie, mit der Dunkelheit und der Mauer zu verschmelzen. Sie schienen recht erfolgreich damit zu sein – niemand beachtete sie.
Die Vierfinger drangen in den Bunker ein, und sie hörte ein hohes Pfeifen, dann hörte sie die Schreie. Und dann nur noch Stille. Sie hätte nie gedacht, dass Stille so grauenvoll sein konnte.
Nach einer Weile kamen die Aliens wieder heraus. Sie stießen komische kleine Laute aus, und schaudernd erkannte Skadi, dass sie lachten. Ohne einen Blick zurück kletterten sie wieder in ihren seltsamen Raumtransporter und wurden von dieser unglaublichen Schwärze über ihnen verschluckt, so als wären sie niemals da gewesen. Auch das dumpfe Dröhnen war verstummt, und die Geräusche der Nacht – die Sirenen, das Heulen des Sturmes, die Schüsse und das Knattern der Rotoren – waren wieder zu hören. Skadi fühlte sich benommen und schwindelig. Sie steckte ihre Finger in die Ohren, blies die Backen auf und redete sich ein, dass es half.
Dem Jungen schien es richtig mies zu gehen. Skadi stieß ihn an, doch alles, was er hervorbrachte, war ein leises Wimmern. Nach einer Weile merkte sie, dass er anscheinend immer den gleichen Satz wiederholte. Sie beugte sich zu ihm und versuchte ihn zu verstehen.
»Ich will nach Hause«, weinte der Junge. »Und ich hab doch keins.«
»Mach dir nichts draus«, sagte Skadi und wiegte ihn in den Armen, »ich auch nicht.«
»Aber was wolltest du denn überhaupt hier?« Er starrte sie mit aufgerissenen Augen an.
»Spaß«, sagte Skadi achselzuckend, obwohl dies bei weitem nicht die ganze Wahrheit war. »Wer hält schon vier Monate Dunkelheit aus?« Sie stand auf und zog den Jungen auf die Füße. »Komm, wir müssen wissen, was passiert ist.«
Und sie sollte es erfahren.
Zuerst schien alles unverändert, die bunten Lichter und das Strob. Doch dann war da dieser Geruch. Skadi kannte ihn nur zu gut. Drei Jahre und unzählige Alpträume war es her, das Große Feuer auf Esso/Nordoil 3. Achthundertdreißig waren verbrannt. Achthundertdreißig Männer und Frauen aus Longyearbyen, Freunde und Verwandte. Wie könnte sie jemals diesen Geruch vergessen? Und mit der Erinnerung kamen die Gefühle zurück, und es waren die gleichen wie damals – Hilflosigkeit und Wut. Die Toten in dem Gebäude waren Fremde, aber machte das wirklich einen Unterschied? Sie hörte den Jungen. Er erbrach sich laut und keuchte angestrengt. Er hatte geglaubt, so taff zu sein, meinte, schon alles gesehen zu haben, und jetzt wollte er nur noch zurück – zurück zu einem Zuhause, das es schon längst nicht mehr gab.
Langsam ging Skadi durch das verwinkelte Gebäude. Still zählte sie die Toten – es war ihre Art, nicht zu vergessen. Einer von ihnen war der Europäer. Er lag auf dem Rücken und aus seinen verbrannten Kleidern stieg immer noch Rauch auf. In seinen weit aufgerissenen Augen sah sie den Widerschein der Strobs. Es war so traurig – sie war auf einmal so unendlich traurig – und sie wusste nicht einmal seinen Namen.
Doch die Nacht war noch nicht zu Ende.
Garfield hatte gedacht, dass er all dies hinter sich gelassen hatte in jener Nacht – die Angst vor dem Verlassenwerden und die Panik, die ihn ergriff, als das Wasser seine Füße umspülte. Aber auf einmal war er wieder da, der kleine, furchtsame Junge im Garfield-Pyjama.
»Los, beweg dich!« Jemand zerrte an seiner Hand. »Wir müssen nach oben. Komm schon, du dummer Junge.«
Skadi zog den widerstrebenden Garfield zu den eisernen Stufen, die sich endlos ins Dunkel der oberen Stockwerke erstreckten. Hinter ihnen schwemmte die Flut Unaussprechliches in die Räume. Keuchend zog sich das Mädchen die Stufen hoch, den Jungen vor sich her schiebend. Er schniefte leise vor sich hin, an einem Kloß aus Angst und
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