When the Music's Over
bleiben und kämpfen sollen. Hatten ihre Eltern ihr so wenig vererbt? Nun, vorhin war sie geblieben, und sie hatte gekämpft. Doch was hatte es ihr gebracht?
Sie wollte den Mann nicht verletzen. Aber nun war es passiert. Sie hätten bei dem Treck bleiben sollen, aber Skadi wollte schneller vorwärts kommen. Sie hatten sie gewarnt, aber sie wusste es besser. Dumme ’skimo-Tussi, die sie einmal war.
Sie hatten in einem verlassenen Gebäude übernachtet – erschöpft von ihrer langen Wanderschaft –, in einer der vielen namenlosen Städte. Kein Feuer, nichts, was auf ihre Anwesenheit hingewiesen hätte. Und doch hatte er sie gefunden: Spider-Man. Er musste außen an dem Gebäude hochgeklettert sein. Die Treppe hatte sie vor dem Schlafengehen mit einer Stolperfalle gesichert. Skadi wachte auf, als seine fahrigen, klebrigen Hände ihren Körper entlangglitten. Sie bewegte sich nicht, hielt sogar den Atem an. Dann, unendlich langsam, tastete sie nach ihrem Häutemesser. Der Griff aus Walrosshorn schmiegte sich vertraut in ihre Hand – sie stieß zu. Stieß nach der stinkenden Fratze, nach den ekligen Händen. Stieß einfach zu.
Es war so leicht gewesen. Er hatte nicht einmal geschrien. Nur ein erstauntes Grunzen, als er schwer auf sie fiel. War es wirklich so einfach, einen Menschen zu töten?
Sie sah auf ihre Hände, das Messer und das Blut, dunkel und glänzend. Entsetzen schüttelte sie. Sie hatte sich doch nur verteidigt! Mechanisch rieb sie die Klinge ab und säuberte ihre Hände mit Sand, der den Boden bedeckte, hereingeweht durch die zerbrochenen Fensterscheiben. Saharasand. Hereingeweht wie sie in diese seltsame Welt.
»Was is’n los?«
Der Junge. Er war aufgewacht. Skadi sah seine Silhouette, als er sich aufsetzte und sich verschlafen die Augen rieb.
»Schlaf weiter, alles in Ordnung«, zwang sie sich zu sagen. Zum Glück hörte er auf sie und rollte sich wieder unter seiner Decke zusammen.
Skadi wartete einen Moment, bis seine Atemzüge wieder tief und regelmäßig waren. Was mochte er wohl träumen? Skadi konnte sich nur selten an ihre Träume erinnern. Doch manchmal wachte sie in der Nacht auf, und die Luft schmeckte nach Eis und Neuschnee. Dann wusste sie, ihre Seele war um die halbe Welt gereist, und sie verspürte einen scharfen, stechenden Schmerz. So fühlte sich wohl Heimweh an.
Skadi schleifte den Körper durch den Raum. Dann tastete sie sich auf den Knien weiter und räumte die Stolperfallen aus dem Weg. Sie ging vollkommen konzentriert vor. Wusste, wenn sie nur einen Gedanken an das verschwendete, was sie im Begriff war zu tun, würde sie von Panik überrollt werden. Sie zog den Körper bis an den Treppenabsatz und ließ ihn dann die schiefen Stufen hinunterrollen. Sie meinte, noch nie ein so grauenvolles Geräusch wie das des fallenden Körpers gehört zu haben.
Am Treppenabsatz blieb er hängen, die Gliedmaßen grotesk verkrümmt. Die aufgeworfenen Lippen über fauligem Zahnfleisch, die trüben Augen weit aufgerissen, sah er sie vorwurfsvoll an. Skadi zerrte und zog und hörte Holz splittern, oder waren es von der Krankheit porös gewordene Knochen? Endlich bewegte sich der Körper und polterte in die Dunkelheit. Vorsichtig folgte sie ihm. Fast rechnete sie damit, dass eine Hand nach ihrem Knöchel greifen würde, um sie direkt in die Hölle hinabzuziehen.
Skadi fühlte sich unendlich schuldig. In ihrer Heimat erwies man den Toten Respekt, wollte man nicht von ihren Geistern heimgesucht werden. Und dieser Mensch war schon im Leben eine Alptraumgestalt gewesen. Sein Geist konnte sie vernichten – ganz einfach.
Doch sie wusste, was zu tun war. Åsgård hatte es ihr gezeigt. Sie war es auch gewesen, die ihr beim Abschied den Beutel mit heiligen Kräutern zugesteckt hatte. Vielleicht bestand noch Hoffnung.
Und so ging Skadi, nachdem sie die Leiche in einem der hinteren Zimmer im Erdgeschoss mit Gerümpel bedeckt hatte, wieder an den Ort, an dem das Grauenvolle seinen Ausgang genommen hatte. In den Händen hielt sie sorgfältig ausgewählte Hölzer – aus allen vier Himmelsrichtungen des Hauses zusammengesammelt.
Sie kniete vor den dunkeln Flecken auf dem sandigen Boden. Dann schichtete sie die Holzstückchen auf, streute einige Kräuter hinein und zündete sie an. Sie führte die rituellen Gesten aus und betete um Einsicht und Vergebung, wohl wissend, dass Vergebung unmöglich war. Sie hatte ein Leben genommen.
Als ihm der Rauch in die Augen stieg, beschloss Garfield, dass dies ein
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