When the Music's Over
einem Pfandhaus in Manila gesehen. Er wechselte von C auf Dm7. Der Akkord erinnerte ihn an das Scheppern der Türklingel, und die Wirbel sahen so billig aus wie die Zähne des Pfandleihers.
Damals waren die Runners in Asien schon so out, dass er die Martin nicht mal mehr als Rock-Memorabilia hatte verkaufen können. Irgendwie, auf eine traurige Weise, war die Gitarre mit seiner Karriere verbunden gewesen. Er hatte sie von dem Vorschuss seines ersten Plattenvertrags gekauft – schon damals war sie eine fast unbezahlbare Antiquität gewesen. Pierce war wütend geworden, als er es herausfand. Er wollte in eine bessere Gegend ziehen, ein neues Auto kaufen. Blue erinnerte sich noch gut, wie er sie zum ersten Mal aus dem Flightcase gehoben hatte. Wie ein seltenes Juwel lag sie auf dem blauen Samt. Und jedes Mal, vor jedem Auftritt, im Studio, hatte er das gleiche Gefühl – Ehrfurcht und unbändige Freude, dass sie ihm gehörte. Auf ihr schrieb er alle Songs – vielleicht war das der Grund, dass ihm nichts Vernünftiges mehr einfiel – er hatte seine Stimme verloren – in einem Pfandhaus in Manila. Himmel, wie pathetisch!
Tonia zog laut eine Nase Koks hoch und winkte ihm ungeduldig weiterzuspielen. Blue fragte sich, wie hoch die Kaution für ihn und die Bandmitglieder gewesen sein mochte. Andererseits war es wohl egal, für Frauen wie Tonia Sakamoto war alles käuflich. Und so spielte er, bis sie ihn mit einer huldvollen Geste entließ.
Er hatte die Wahl gehabt, falsche Versprechungen oder ein Kehlkopfimplantat. Seit einigen Jahren war es ziemlich verbreitet, sich einen Stimm-Modulator einsetzen zu lassen. Blue verabscheute die Dinger, er war ein richtiger Sänger mit eigenem Gesangsstil und kein High-Tech-Imitator.
»Etwas plastische Chirurgie, dazu den Modulator und ihr seid wieder im Geschäft«, hatte ihr Manager gesagt. Das war auf der Krisensitzung, kurz nach der »Reorganisation« ihres Labels gewesen.
»Hey, stimmt, Mann.« Toto fletschte die Zähne zu einem Furcht erregenden Grinsen. »Dann siehst du mehr wie der King aus als der alte Elvis.«
»Scheiße, Mann!« Blue war aufgestanden und rausgegangen.
Vielleicht hätte er damals auf Jeffrey hören sollen, immerhin hatte der später die Masters of Pain aufgebaut. Doch womöglich war der große Erfolg für die Runners schon gelaufen, nur dass es niemand so richtig wahrhaben wollte. Würden sie sonst ständig einem Comeback hinterherlaufen? Und wohin hatte dieses Gerenne sie gebracht –
»Reg dich ab, Blue«, sagte Toto philosophisch. »Es hätte viel schlimmer kommen können.«
»Immerhin hat sie unser ganzes Equipment bei diesem arschgesichtigen Clubbesitzer ausgelöst«, meinte Shell.
»Ach ja, und hat sie dir auch noch einen Satz Saiten draufgelegt?«
»Du musst nicht gleich so sarkastisch sein, Blue.« Jaki sah ihn vorwurfsvoll an.
»Merkt denn keiner, was hier abläuft?« Blue sah seine Freunde völlig entnervt an. »Ich meine, das ist doch hier die Twilight Zone, Rock’n’Roll Hell.«
»Du spinnst doch, Mann.«
Shell griff sich seine Stratocaster und spielte ein paar Riffs. Er lauschte mit selbstzufriedenem Grinsen. Er war noch nie so schlecht gewesen, fand Blue, doch niemand sonst schien es aufzufallen. Er drehte sich um und ging auf sein Zimmer. Er musste unbedingt allein sein, in Ruhe nachdenken, eine Lösung finden, wie er sich und die Jungs zurück auf die Straße bringen konnte.
Shells Strat dröhnte durch das Haus, der Klang folgte ihm, sie alle folgten ihm.
»Coole Bude, Mann.« Toto schnalzte anerkennend, warf sich auf das breite Bett und wippte auf und ab.
Blue ignorierte ihn. Er starrte aus dem Fenster in den ewigen Regen. »Der ewige Regen«, früher hätte ihn dieser Gedanke zu einem neuen Song inspiriert – früher. Früher wäre auch Pierce da gewesen, der genau wusste, auf welcher emotionalen Welle sein kleiner Bruder gerade surfte.
»Worüber beklagst du dich eigentlich die ganze Zeit?«, unterbrach Shell seine Grübeleien.
»Hab ich was gesagt?« Blue merkte, wie er die Fäuste ballte, und atmete tief durch. Würde es jetzt immer so sein, er gegen den Rest der Band?
»Mitkommen.« Flyp stand in der offenen Tür und winkte auffordernd. »Sie will dich sehen.«
»Pack dein Zeug zusammen.« Tonia schenkte ihm nur einen flüchtigen Blick. In Blue flackerte Hoffnung, war sie seiner schon überdrüssig? »Wir fliegen zur Hazienda.«
Das Flackern erlosch. Sie hatte schon von ihrer Hazienda gesprochen. Irgendein
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