When the Music's Over
einem Desaster-Movie. Mit fast schon unheimlicher Regelmäßigkeit erschütterten bereits seit Jahren Seebeben die pazifischen Gräben. Tsunamis von bislang unvorstellbaren Ausmaßen spülten Inseln und Küstenstädte gleichermaßern fort. Hastig ins Leben gerufene Notstandsprogramme und unkoordinierte Evakuierungsaktionen sorgten zusätzlich für Chaos unter der betroffenen Bevölkerung.
In seltener Einstimmigkeit machten Politiker und Umweltaktivisten die globale Erwärmung für die Beben und ihre Folgen verantwortlich – das war bequem und außerdem konnte man es der vorherigen Generation in die Schuhe schieben. Besorgnis machte sich auch dann nicht breit, als sich die Beben auf andere Ozeane ausdehnten und Inselketten im Atlantik und im Indischen Ozean von der Landkarte wischten. Als die Flutwellen ausgerollt waren, existierten die Azoren, die Seychellen und die Malediven nicht mehr. Doch nachdem die Philippinen schon vor Jahren zum Notstandsgebiet erklärt worden waren und Japan immer noch unter den Folgen des großen Tokio-Bebens litt, betrachtete man den Verlust einiger Inseln wohl als natürlichen Schwund – als Vorzeichen einer neuen Eiszeit, wie die einen sagten, oder einfach als Pech.
Tödlich wie die Stacheln der Koralle
Pierce machte die »große Hafentour« – so nannte er es im Stillen. Jeder Hafen, der auf seinem Weg lag, wurde angelaufen und stracks suchte er die diversen einschlägigen Speluken auf. Egal in welchem Land, er fand sie immer, und immer sahen sie gleich aus und immer waren die Drogen gleich schlecht und teuer. Es war fast wie damals, als er noch mit den Runners auf Tour war. Blue hatte seine Aufpasser, die darauf achteten, dass er nicht entgleiste – als ob Blue das jemals getan hätte –, doch er, er war nur der Drummer und er hatte den ganzen Spaß. Nach ihren Auftritten war er oft mit den Jungs rumgezogen und sie hatten sich ordentlich zugeknallt. Blue hatte das nie verstanden. Pierce hatte es ihm erklärt: »Nichts schweißt eine Band mehr zusammen als ein gemeinsames Besäufnis. Solltest du auch mal ausprobieren.«
Pierce gefiel das Leben. Tagsüber die See und nachts die Drogen und manchmal auch Frauen. Solange er genug Tausche hatte, hätte er ewig so weiter machen können. Vierfinger ließen sich so weit südlich kaum blicken, ein weiterer Pluspunkt für seine Reiseroute, fand Pierce.
»Zum Seemann wird man geboren«, sagte sein Gegenüber gerade. »Mein Vater, meine Brüder, sie alle sind zur See gefahren bis –«
»Bis was?«, fragte Pierce mehr aus Höflichkeit denn aus echtem Interesse.
»Du weißt schon, bis sie kamen.«
»Versteh ich jetzt nicht. Was haben deine Verwandten mit den Aliens zu schaffen?«
»Das haben wir uns auch gefragt – wir alle.« Die Frau beugte sich über den Tisch und sagte in unheilschwangerem Ton: »Bis wir Angst bekamen, dass bald keiner mehr von uns übrig wäre. Und da haben wir unsere restlichen Boote an die verdammten Vierfings verkauft.«
In Pierce’ ziemlich benebelter Vorstellungswelt lief ein putziger, kleiner Film ab: Der Pate, Teil VII – fiese außerirdische Mafiosi erpressen brave Fischer und bringen sie um ihren Lebensunterhalt. Doch wozu? Er versuchte, das Gesagte in einen logischen Kontext zu bringen, was wirklich nicht einfach war.
»Bis keiner mehr übrig war – die restlichen Boote?«
»Hast du schon mal vom Bermuda-Dreieck gehört?«
Pierce nickte. »Aber ihr seid doch wohl kaum so weit rausgefahren?«
»Natürlich nicht! Ich versuche dir nur etwas zu erklären, anhand eines Beispiels, verstehst du?«
Die Frau redete auf die umständliche Art aller Betrunkenen. Pierce fand das recht anstrengend. Doch er nickte aufmunternd. Es war schon eine Weile her, dass er eine richtig gute Geschichte gehört hatte, und diese versprach echtes Seemannsgarn zu sein. Er bestellte noch eine Runde von dem widerlichen, selbst gebrauten, überteuerten Gesöff. Es grenzte schon fast an ein Wunder, dass er von dem Zeug noch nicht blind oder impotent oder beides geworden war. Bermuda-Dreieck! Pierce kippte den Drink. Was soll’s, dachte er, jeder hat das Recht, sich die Parameter für seine Realität zu setzen.
»Sie verschwanden genau so, als wären sie in dieses verdammte Bermuda-Dreieck gefahren. Da war kein Unwetter und ihre Boote waren auch nicht einfach leckgeschlagen, wie uns dieser Regierungsarsch weismachen wollte. Nein, sie waren rausgefahren wie jeden Tag und nicht wiedergekommen.«
Sie sah Pierce eindringlich an,
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