When the Music's Over
zum anderen. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass Pierce einen Bruder hatte.
»Er hängt auf der Hazienda ab. Er und seine Band.« Genüsslich breitete Jason seinen Klatsch vor den beiden aus. »Sie streiten fast die ganze Zeit – das heißt, wenn sie nicht zu zugedröhnt sind. Takaheshi will, dass sie auf dem Festival auftreten, die Bladerunner in Ur-Formation. Der alte Mann ist ganz schön sauer, weil Pierce abgetaucht ist – der war nämlich mal der Drummer.«
»Pierce – ein Musiker?« Kahia kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. »Hast du das etwa gewusst, Doc?«
»Running Wild, Running Nowhere, Every Night I Cry, City of Broken Dreams …« Wie in Trance zählte Doc die Hits der Band auf. Warum sollte er es leugnen? Er war ein Fan.
»He, cool Mann.« Jason schlug mit ihm hoch-fünf ab. »Mal sehen, ob ich euch Freikarten besorgen kann.«
»Warum auf einmal so zuckersüß?«, stichelte Kahia, die sehr wohl wusste, dass Jason sie aus tiefster Seele, sofern er überhaupt eine hatte, verabscheute.
»Ich werd da oben verrückt. Sie tickt noch völlig ab«, sagte der Bodyguard mit schmeichlerischer Ehrlichkeit.
»Ich bin sicher, du kannst dich unten im Künstlerdorf nützlich machen«, grinste Kahia. »Wie ich hörte, suchen sie noch Typen mit Muskeln, die ihnen beim Aufbau helfen.«
»Miststück«, murmelte Jason.
»He, Kinder, streitet euch nicht«, lachte Doc. Insgeheim spielte er mit dem Gedanken, wie es wohl ausgehen würde, wenn Kahia und Jason aufeinander losgehen würden. Er war zu sehr Schriftsteller, um Situationen wie diese nicht zu schätzen zu wissen.
Kurze Zeit später ging Jason – doch erst nachdem er etliche giftige Blicke mit dem Mädchen getauscht hatte. Kahia ging in die Kombüse, um das Abendessen zu machen. Doc sah, wie sie breit grinste.
»Ich geh mal kurz ins Viertel und versuch einen Wein zu bekommen«, rief er ihr nach.
Die Medientypen hatten das Hafenviertel übernommen. Überall hatten sie ihre Trailer, Kameras und Com-Link-Schüsseln hingeknallt. Wichtig aussehende Assistenten und Assistenten der Assistenten mit Headpieces und Kehlkopfmicros, wimmelten durch die engen Gassen. Sie suchten wohl das »authentische« Freezone.
Es war der Anblick der gigantischen Schüsseln, der Doc plötzlich an die Disketten denken ließ. Staatliche Kommunikationssatelliten in geostationärer Umlaufbahn – zwei Raumstationen, die längst in Vergessenheit geraten waren. Was mochte noch alles da oben sein, von dem man nie etwas erfuhr? Seit jener Nacht im E.T.-Camp hatte er das Vorhandensein der Datenträger erfolgreich verdrängt, zu brisant schien ihm der Inhalt zu sein. Doch was war der Inhalt eigentlich genau? Auf einmal wollte er es wissen.
Das Signalhorn an der Einfahrt zur Mole tutete penetrant. Das bedeutete, die Fähre manövrierte sich soeben an die Anlegestelle. Vorübergehend abgelenkt, beschloss Doc, sich das Spektakel anzusehen. Wenn er ehrlich war, hoffte er jedes Mal, ein bekanntes Gesicht unter den ankommenden Künstlern zu entdecken. Diesmal sollte er Glück haben, allerdings ganz anders, als er gedacht hatte.
Sie ging direkt an ihm vorbei: ein Gesicht – eher unauffällig –, die schwarzen Haare an den Schläfen ausrasiert, Knochenschmuck an den Ohren – misstrauische, wache Augen.
Es dauerte eine Weile, ehe er wusste, wo er dieses Gesicht schon mal gesehen hatte.
»Was wir Ihnen jetzt zeigen, wurde uns von der deutschen Sektion für Alien-Observation zur Verfügung gestellt«, sagte der Ranghöchs- te der Ray-Ban-Typen. »Das Mädchen, welches Sie gleich sehen, befand sich für sechs Monate auf einem Schiff der Außerirdischen.« Er schob eine DVD in den Player und dimmte das Deckenlicht. »Die Deutschen glauben, dass sie für den Anschlag auf einen Raumtransporter der Gamma-Klasse verantwortlich ist.«
Die versammelten SF-Schreiber beugten sich erwartungsvoll vor. Endlich wurde ihnen mal etwas geboten.
Auf dem Monitor erschien das deutsche Gegenstück der hiesigen Men in Black und leierte einen Text herunter. Doc vermutete, dass es sich um Datum, Uhrzeit, Ort und so weiter handelte. Dann zoomte die Kamera auf ein Gesicht. Übernächtigt, aber ungebrochen, starrten ihnen zwei grüne Augen entgegen. Die Kamera fuhr zurück. Jemand stellte in barschem Ton eine Frage. Das Mädchen, man konnte jetzt sehen, dass es ein Mädchen war, bewegte den Mund, doch nicht um zu sprechen – in hohem Bogen flog Speichel auf das Objektiv.
Jemand lachte, es war Dylan Jackson.
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