When the Music's Over
ist doch alles Schrott. Was willst du denn damit?«
»Verkaufen«, sagte er knapp. Er stieg über einen losen Stapel Metallzylinder – waren das etwa Torpedos? – und bahnte sich einen Weg durch das Chaos. »Hier war doch irgendwo – ha, ich hab’s doch gewusst! Komm mal her und pack mit an.«
Vorsichtig trat Skadi näher. Sie hatte immer noch dieses Bild von den glitschigen Seemonstern im Kopf. Was sie sah, war eine große Kugel mit Greifarmen, die sich zwischen Ankerketten und einer kleinen Schiffsschraube verkeilt hatten. Es war eine altmodische Taucherglocke, erkannte Skadi. Ähnliche Bathyscaph wurden am Nordkap zur Kontrolle der Plattformen eingesetzt. Sie hatte mal jemanden gekannt –
Pierce drückte ihr einen Schneidbrenner und eine Schutzbrille in die Hand und meinte: »Sieh mal zu, ob du das Ding da rausschneiden kannst. Ich mach inzwischen die Winde klar.« Und über die Schulter: »Und mach keine Löcher in die Hülle.«
Skadi signalisierte »alles okay«. Sie hatte sich bereits die Brille aufgesetzt und den Brenner angestellt. Daheim in Longyearbyen war es üblich, mit anzupacken, und sie wusste, wie sie mit dem Werkzeug umzugehen hatte.
Knapp eine Stunde später stand die Taucherglocke an Deck. Pierce hakte die Winde ab und sagte: »Ich werd das Ding erst mal sauber machen. Vielleicht willst du inzwischen deine Sachen in der hinteren Kabine verstauen, die ist etwas größer als die andere.«
Skadi nickte und stieg den Niedergang hinunter. »Lass dich nicht von dem Krempel da unten stören. Das ist mein Büro«, rief ihr Pierce nach.
Sie verstaute ihre Sachen in der Kajüte und sah sich neugierig um.
Pierce war ihr gefolgt und beobachtete sie. Wie lange war es her, dass er zuletzt einen Passagier an Bord gehabt hatte? Einen kurzen Moment lang überlegte er, wie es Doc und Kahia wohl gehen mochte.
»Was ist denn das?« Sie hielt ein zerknülltes Blatt Papier in die Höhe.
»Ach, das ist nichts weiter.« Zu seinem Missfallen merkte Pierce, dass er verlegen wurde. »Ich bin kein Dichter. Das sind Rock-Lyrics. Aber Musiker bin ich auch schon lange nicht mehr.« Und in Gedanken fügte er hinzu: »Und das letzte bisschen Kreativität hab ich auf einem meiner Trips in irgendeiner toten Ecke meines Hirns abgestellt.«
»Ich find’s schön.« Sie las laut:
»Your eyes, doorways into the subconscious.
I looked at you and cried.
I fell on my knees, touched by your sweetness.
And I died.«
»Kein Versmaß, nur ein banaler Reim. Ich hab’s dir gleich gesagt. Ich bin eben kein Dichter.«
»Ich find’s immer noch schön.«
»Dann gehört es dir.«
»Kann man denn Gedichte verschenken?«
»Klar, warum nicht?« Er musterte sie. »He, du wirst doch jetzt nicht sentimental werden?«
»Warum bist du kein Musiker mehr?« Skadi entschied sich für eine Gegenfrage. »Wollte dir niemand zuhören?«
»Ich bin gegangen, ehe es so weit kam.« Er zuckte die Schultern. »Vielleicht hätte ich bleiben – nein, es war besser so.«
Ohne Jeff hatten sie nur noch miese Gigs an Land gezogen. An dem Tag, als Blue ihnen eröffnete, dass sie im Sommer für drei Monate durch Südamerika touren würden – als Support der »Benny B. Band« –, wurde Pierce klar, dass es mit den Runners definitiv zu Ende war. Er versuchte, mit seinem kleinen Bruder zu reden, und wie so oft in letzter Zeit war es zum Streit gekommen.
»Ausgerechnet die Benny B. Band, Mann, die sind doch nun wirklich Scheiße«, hatte er gebrüllt. »Und tu jetzt nicht so, als wüsstest du das nicht.« Blue war mit seinem üblichen Spruch »Eine Band muss spielen, sonst vergisst sie, dass sie eine Band ist« gekommen und Shell und Toto hatten sich aus allem ausgeklinkt, was auch nichts Neues war. Pierce hatte sich umgedreht und angefangen seine Schießbude zusammenzupacken. »Ohne mich, Mann«, sagte er noch im Rausgehen. Später warf ihm Blue vor, dass er ihn im Stich ließ. Vermutlich hatte er sogar Recht – aus seiner Sicht. Für Pierce war es einfach Zeit gewesen, einen Schlussstrich unter einen Kindheitstraum zu ziehen, der nie der seine gewesen war. »Werd endlich erwachsen, Blue«, waren die letzten Worte, die er zu seinem Bruder sagte.
Stunden später waren sie im Zielgebiet angekommen. Die Sonne war hinter bleigrauen Wolken verschwunden – sie hatten die Sturmfront, die den ganzen Tag vor ihnen gewesen war, fast eingeholt. Pierce, der bereits in seinem Neoprenanzug steckte, ließ das SunCo-Boot in der Dünung treiben und
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