When the Music's Over
Masters ein. Eigentlich wollten wir’s dir nicht sagen, aber wenn du schon so fragst –«
Blue ließ die Worte einsinken. Das Schweigen in seinem Kopf schien endlos anzudauern, dann kamen die Fragen. »Warum? Wie konnte das passieren – ausgerechnet die Masters?« Und ein banales »Habt ihr mit Jeff gesprochen, wie geht es ihm?« Doch die Fragen blieben in Blues Kopf, er konnte sie einfach nicht aussprechen. Hätte er es getan, wäre es ein Eingeständnis gewesen, ein Akzeptieren des Endgültigen.
Er zuckte zusammen, als er das Schnappen der Riegel an Shells Gitarren-Case hörte. Shell ging, ohne Blue eines Blickes zu würdigen, an ihm vorbei. In der einen Hand trug er den Gitarrenkoffer, die andere war hinter seinem Rücken verborgen. Plötzlich schnellte er ihm seinen Arm entgegen. Blue wich reflexartig aus – da flog auch schon eine Whiskeyflasche auf ihn zu – mit dem gleichen Reflex fing er sie auf. Die Flasche war voll.
»Einen schönen Tag noch, Blue.« Das sollten die letzten Worte sein, die Shell an ihn richtete.
Wortlos nahm Blue eine CD und legte sie auf. Zeit für das nächtliche Ritual. Zeit zu vergessen. Der Whiskey war gut. Shell hatte Geschmack, wer hätte das gedacht? All die Jahre, die sie zusammen unterwegs waren, all die endlosen Stunden im Tourbus, und doch hatte er nicht einmal das gewusst. Aber was hieß das schon. Mit Pierce hatte er fast sein ganzes Leben verbracht, und kannte er ihn etwa?
»Mit den Runners ist es doch längst vorbei«, sagte eine Stimme. Vorbei, vorbei. Wie ein trauriges kleines Echo schwebten die Worte durch das Studio. Jaki hatte sie zu ihm gesagt. Auf einmal klangen sie wie eine Grundwahrheit, nicht wie eine böse Prophezeiung. Etwas war passiert, irgendwann vor langer Zeit, und hatte seinen Endpunkt gefunden: Übermorgen um diese Zeit würden die Runners nicht mehr existieren.
Er stand auf einer Bühne. Der Punktscheinwerfer, wie ein Laserschwert auf seinen Oberkörper gerichtet, verengte sich, bis er nur noch seinen Kopf erfasste. Blue sang. Er war nichts als Stimme, kein Mensch, kein Mann – nur Stimme. Er versuchte, die Band im Dunkel der Bühne auszumachen, aber er konnte sie nicht sehen. Er lauschte auf den Sound. Gott, klang das gut. Er hörte den unverwechselbaren, coolen »Tscha dum schahka dum«-Rhythmus von Pierce’ Drums. Alles war gut. Die Band war zusammen, alles war gut. Blue fühlte sich glücklich und vollkommen. Das war seine Welt, sein eigenes Universum aus Licht und Sound, nur in ihm konnte er sich verlieren. Auf einmal drang nur noch weißes Rauschen aus dem Sound System. Er starrte in die Dunkelheit – starrte in einen Abgrund voll pathetischer Hoffnungslosigkeit. Er hatte seine Band verloren. Es war so schnell gegangen, er hatte es nicht einmal mitbekommen. Blue bewegte seine Lippen – Stille dröhnte in seinen Ohren. Er schrie einen stummen Schrei. Er war ein Niemand, nichts hatte mehr Bedeutung.
Den Schrei noch in der Kehle wachte er auf. Der Traum, er hatte wieder diesen Traum gehabt. Nach einem kurzen Augenblick der Desorientierung fiel es ihm wieder ein: Jetzt war es kein Traum mehr. Die Runners gab es nicht mehr. Daran würde auch ihr letzter gemeinsamer Auftritt nichts ändern.
Blue war immer noch im Studio. Ein grünlicher Mond schien durch die offene Tür. Selbst der Mond war nicht mehr derselbe, seitdem die Aliens auf die Erde gekommen waren, dachte er zusammenhanglos. Sein Kopf dröhnte, die Bässe hämmerten immer noch auf ihn ein. Schon seltsam, dass er in all dem Lärm von Stille geträumt hatte.
Stunden später kam er zu sich. Flyp stand über ihm und sah mit einem zynischen Grinsen auf ihn herab.
»Los, aufstehen, Sonnenschein, sie will dich sehen.«
»Verpiss dich!«
Blue rollte sich zusammen. Sein Kopf dröhnte, kalter Schweiß sammelte sich zwischen seinen Schulterblättern. Oh ja, er wusste, wie er sich am besten fertig machte. Dazu brauchte er keine Anleitung von seinem großen Bruder.
»In zwei Stunden willst du doch wohl auf der Bühne stehen, oder wurde der große Auftritt etwa abgesagt?«
»Was?« Blue merkte nicht, dass er brüllte. »Was sagst du da? Morgen – oder – ich –« Was lief hier ab? Er hatte doch keinen ganzen Tag verloren. Ihm wurde schwarz vor Augen. Panik drohte ihn wie eine ölige, undurchdringliche Flutwelle zu überrollen. Taumelnd versuchte er auf die Beine zu kommen.
»Wie schön, dass du aufgewacht bist.« Flyp bleckte die Zähne zu einem aufgesetzten Lächeln. »Also,
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