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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John B. Keane
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oben vom Berg hinunter zu uns einen besonderen Anlass gab. Meist schaute er an Winterabenden nur bei uns herein, weil er nichts anderes zu tun hatte. Die kleine Runde saß dann am Herd — Timmy, mein Onkel und seine Frau und manchmal auch ihr Vater, wenn dem alten Mann danach war. Bis Mitternacht unterhielt man sich über dies und das, trank ein, zwei Tassen Tee und trennte sich wieder.
    Mein Onkel hatte sein Haus am Fuß des Hügels im Schutz eines kleinen Sitka-Fichtenwäldchens, während die Behausung der Binns ziemlich oben auf der Anhöhe lag, etwa eine Meile entfernt. Timmy Binn ging damals auf die siebzig zu und war damit der jüngste der drei Brüder, allesamt Junggesellen, und seiner drei Schwestern, allesamt alte Jungfern. Gemeinsam bewohnten sie das alte Bauernhaus, von dem aus sie die gesamte Ansiedlung unten übersehen konnten.
    Die abgeschiedene Lage war für die Binns genau das Richtige. Zu Gesicht bekamen sie nur die Kirchgänger, die schon zur Frühmesse unterwegs waren. Und das waren genau wie sie selbst meist die Alten und Rentner, die sich nur für den Gang zur Dorfkirche rauswagten, um den Sonntag zu heiligen.
    Timmy erledigte den Einkauf. Jeden Morgen, einschließlich Sonntag, spannte er die alte schwarze Mähre ein und schaffte auf dem Gefährt den täglichen Ertrag der zwölf Milchkühe zur Molkerei. Wenn er die Milch abgeliefert hatte, kaufte er die nötigen Lebensmittel und fuhr schnurstracks wieder heim.
    Freitags kassierte er beim Dorfpostamt die Rentenzahlung für die sechs Geschwister ein. Für die Hälfte des Geldes leisteten sie sich den einen oder anderen kleinen Luxus, wie zum Beispiel Kautabak, Schnupftabak oder auch Mehrfruchtmarmelade. Die andere Hälfte ging auf ein gemeinsames Konto, säuberlich eingetragen in ein abgegriffenes Postsparbuch. Das Geld wurde nie angerührt, war es doch für die Totenwache und die Beerdigungskosten gedacht, wenn es dann so weit war.
    »Komm, setz dich ans Feuer«, lud ihn mein Onkel ein, sowie die Tür wieder geschlossen war.
    Timmy öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, ließ es dann aber und setzte sich erst mal.
    »Du nimmst doch bestimmt eine Flasche Porter«, meinte mein Onkel. »Du bleibst nicht allein, wir genehmigen uns alle eine«, fügte er hinzu, ehe Timmy hätte ablehnen können.
    Normalerweise hätte man dem Gast Tee angeboten, doch Weihnachten lag noch nicht lange zurück, und es war noch einiges von dem Festgelage übrig. Der Onkel machte drei Flaschen auf, reichte eine Timmy, eine seinem Schwiegervater und behielt eine für sich. Gläser waren nicht nötig.
    »Sláinte«, sagte der Onkel und führte die Flasche zum Mund.
    »Sláinte«, sagten auch die anderen und taten es ihm gleich.
    Man leerte auf einen Zug die halbe Flasche. Timmy Binn stellte seine auf dem Fußboden ab und sammelte sich, um etwas zu sagen. Doch es kam nichts. Ich saß am Küchentisch und war eigentlich am Lesen, merkte aber, dass ihn etwas zu bedrücken schien. Er wollte etwas zur Sprache bringen, bekam aber kein Wort heraus. Ich war drauf und dran, mich einzumischen und ihn zu fragen, was er auf dem Herzen hätte, aber dann fiel mir noch rechtzeitig genug ein, dass es üblich war, erst mal jedes andere Thema erschöpfend zu behandeln, ehe man den Besucher nach seinem Anliegen fragte. Schon ein paar Wochen zuvor war Timmy dagewesen. Seine Schwestern hatten ihn geschickt. Fast zwei Stunden lang hatte er sich mit meinem Onkel und dem Alten unterhalten. Als ihm schließlich die Frau des Hauses eine Tasse Tee anbot, erklärte er, er hätte keine Zeit, sie zu trinken. Er hatte bei sich zu Hause in der Küche gesessen, erzählte er, und die Schwestern waren beim Abendbrot machen, als sie plötzlich feststellten, nicht einen Krümel Zucker im Hause zu haben. Man hätte ihn sofort losgeschickt, eine Tasse voll bis zum nächsten Morgen zu borgen. Dann ließ er sich aber doch noch nötigen und trank den Tee mit der Begründung, seine Schwestern hätten, da er so lange fort war, bestimmt nicht mehr mit dem Abendbrot gewartet.
    Diesmal jedoch zeugte sein Verhalten von ungewohnter Nervosität. Er fuhrwerkte mit Armen und Beinen umher, hatte sich kurz wieder im Griff, wenn er sich darauf besann, dass ein Ritual einzuhalten war. In dem Glauben, er wolle nicht mit der Tür ins Haus fallen, wie es der Brauch verlangte, gingen weder mein Onkel noch der Alte auf seine Unruhe ein. Sie würden ihn schon zum rechten Zeitpunkt nach seinem Begehr fragen. Dass er mehr auf dem

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