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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John B. Keane
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Herzen hatte, als nur herumzusitzen und zu schwatzen, war klar. Doch zu so einem Besuch gehörte auch, Geduld zu haben und selbst Rückschlüsse zu ziehen, was den Gast zu einem getrieben hatte. Das Zusammensein wäre von vornherein verdorben gewesen, wäre Timmy gleich mit der Sprache herausgerückt. Egal, wie dringend die Angelegenheit war, egal, wie eilig er es hatte, wieder nach Hause zu kommen. Der gute Brauch verlangte, die Sache auszusitzen und erst nach geraumer Zeit zum eigentlichen Punkt zu kommen.
    »In der Kälte heute sitzen Arme ohne ein wärmendes Feuer.«
    Der alte Vater meiner Tante kippte den Rest seines Starkbiers hinter, nachdem er den Ausspruch getan hatte. Er reichte die leere Flasche meinem Onkel, und es brauchte nicht viel, um zu erraten, dass er nichts gegen das Öffnen von drei weiteren Flaschen hatte.
    »Nichts geht über eine Wärme spendende Glut«, meinte seine Tochter und legte drei große schwarze Torfsoden nach. »Und das Allerwichtigste dabei — Wärme zieht dir den Schmerz aus dem Körper.«
    »Das stimmt«, pflichtete ihr der Vater bei.
    Die geöffneten Flaschen wurden verteilt, und es wurde weiter gesüffelt. Es kam zu einem längeren Schweigen. Timmy Binn rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Mein Onkel und sein Schwiegervater warfen sich vielsagende Blicke zu.
    »Diesmal steht uns noch einiges bevor«, meinte der alte Mann tiefsinnig.
    »Das ist zu befürchten«, bestätigte Timmy.
    Erneutes Schweigen. Sie suchten nach gesprächsergiebigen Stichwörtern, griffen hingeworfene Bemerkungen auf, ergänzten sich im Austausch von Neuigkeiten. Bei den Binns musste etwas Ungewöhnliches passiert sein, nicht unbedingt etwas Fürchterliches, aber doch Wichtiges, dass es einen gelassenen Menschen aus den Bergen wie Timmy Binn dermaßen nervös und zapplig machte.
    »Ich kenne schlimmere Winter als diesen«, sagte der Alte, um die Situation etwas zu entspannen.
    »Erzähl uns von dem Winter damals mit dem wahnsinnig vielen Schnee«, drängte ihn seine Tochter.
    »Ich war da erst zehn«, begann der Alte.
    Wir hatten die Geschichte schon zigmal gehört, aber sie passte zu so einem Winterabend wie diesem, und bei jedem Vortrag erfuhr sie weitere Ausschmückungen. Selbst Timmy Binn geriet beim Zuhören ganz in ihren Bann und schien sein eigentliches Anliegen zu vergessen. Die ganze Zeit heulte der Wind im Schornstein, und ab und an peitschte der Sturm auch Hagelkörner ans Fenster. Nach einer halben Stunde kam der alte Mann mit seiner Erzählung zum Ende und erklärte, er könne jetzt einen kräftigeren Tropfen als nur Porter vertragen, um die schwindenden Kräfte wieder auf Vordermann zu bringen.
    »Geschichtenerzählen dörrt die Kehle aus«, war einer seiner Lieblingssprüche. Ohne ein Wort zu sagen, verschwand seine Tochter und kam gleich darauf mit einer Flasche Whiskey wieder.
    »Die hatte ich noch für eine passende Gelegenheit aufgehoben«, verkündete sie. »Mir scheint, das ist der geeignete Moment.«
    Auch sie spürte, dass Timmy Außergewöhnliches auf dem Herzen hatte. Der Whiskey war ihr Beitrag zur Wartezeit, bis er zur großen Enthüllung bereit war. Eine Frau mit weniger Gespür für die Lebensart auf dem Lande hätte das Beisammensein gewiss durch einfaches Nichtstun verkürzt.
    »Gab es Schnee bei euch dort oben, Timmy?«, versuchte der Onkel das Gespräch zu beleben und reichte den Drink herum.
    »Hin und wieder ein paar Flocken«, erwiderte Timmy.
    »Mehr nicht?« Sinnend schaute der alte Vater in seinen Whiskey, als ließen sich dort weiterführende Fragen finden. Da das nichts brachte, setzte er das Glas an die Lippen, nahm einen kräftigen Schluck, behielt ihn eine Weile genüsslich im Mund und ließ ihn dann hinabgleiten. Der Whiskey belebte ihn sichtlich. Man konnte förmlich verfolgen, wie er die Kehle hinunterrann. Er nickte zufrieden.
    »Perfekt gelandet«, verkündete er. »Wenn der erste Schuss sitzt, gelingen alle nachfolgenden auch. Worauf es ankommt, ist, den Whiskey unter der Zunge zu halten, bis der Magen bereit ist, ihn aufzunehmen. Die Menschen wissen gar nicht mehr, wie man richtig Whiskey trinkt. Heutzutage kippen die den einfach hinter, als war’s Wasser, und sind im Handumdrehen besoffen.«
    Noch eine Viertelstunde lang ließ er sich über das Whiskeytrinken aus. Ob es am Porter lag oder am Whiskey oder an beidem, Timmy Binn war der Stimmung erlegen. Ausdruckslos starrte er ins Feuer, während der Alte von einem Thema zum anderen schweifte.

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