Whiskey für alle
Vom vielen Sprechen ermüdet, drohte er einzunicken, doch schon war mein Onkel zur Stelle und löste ihn ab. Zwar konnte er nicht so gut erzählen wie sein Schwiegervater, doch wusste er das Interesse des Besuchers mit Rede und Gegenrede wachzuhalten. Dem Alten sackte immer wieder der Kopf ab, er blieb aber im Wesentlichen wach. Seine Tochter hatte sich dichter an ihn herangesetzt, um ihm notfalls als Stütze zu dienen, und auf der anderen Seite gab ihm der Onkel Halt.
Leise schlich ich mich hinaus. Der Schneesturm hatte aufgehört. Die Straße lag in einem fahlen Weiß. Das Haus der Binns auf dem Berg oben war hell erleuchtet. Fast war mir, einer der Brüder käme den schmalen Weg hinunter, um nachzuschauen, wo Timmy blieb, aber das war nur eine Täuschung. Trotzdem war da oben irgendetwas im Gange. Sonst hatte immer nur ein schwacher Lichtschein angedeutet, dass die Binns dort wohnten. Jetzt aber strahlte es hell, leuchtete wie ein Stern am Firmament, ließ alle anderen Lichter in der Landschaft verblassen. Dann schob sich eine Wolke vor den Mond, und unversehens lag die Straße im Dunkel. Ich lief zum Haus zurück. Ehe ich hineinging, warf ich noch einen Blick durchs Küchenfenster. Der alte Mann saß immer noch gestützt zwischen seiner Tochter und dem Onkel, aber mit völlig abgesacktem Kopf. Sie saß und stopfte eine Socke und begleitete die Ausführungen ihres Mannes mit beifälligem Kopfnicken. Der hockte mit errötetem Gesicht da und gestikulierte wild mit den Armen, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen. Der Mund ging mit großer Geschwindigkeit auf und zu. Es musste eine grauenvolle Geschichte sein, die er darbot, sie schien aber den Besucher wenig zu beeindrucken.
Timmy Binn saß mit ausgestreckten Beinen, der Kopf war ihm auf die Brust gesunken, als wäre er hypnotisiert, das leere Glas hielt er locker in der schmutzigen Hand, und es drohte jeden Moment hinunterzufallen. Der Onkel brachte seine Erzählung zu einem abrupten Ende, hielt Arme und Hände unversehens still und begnügte sich mit Daumendrehen.
»Wie sieht’s draußen aus?«, fragte er, als ich mich wieder niedergelassen hatte.
»Pechschwarze Nacht«, erwiderte ich.
»Schwärzer kann’s nicht werden.« Die Bemerkung war an Timmy Binn gerichtet, der jetzt langsam zu sich kam.
»Was sagtest du?«, fragte er entschuldigend.
»War nicht so wichtig«, meinte der Onkel.
»Ist jemand auf der Straße?«, wollte die Frau des Hauses wissen.
»Nicht ein Christenmensch«, lautete meine Auskunft, »nur oben auf dem Berg leuchtet es ungewohnt hell.«
Die Lethargie, die sich breitgemacht hatte, war wie verschwunden. Alle horchten auf.
»Wo auf dem Berg?«, fragte der Onkel.
»Bei Binns.« Ich gab mir Mühe, meine Stimme so harmlos wie möglich klingen zu lassen.
»Bei Binns?« Auch der Alte war plötzlich hellwach. Das war der Moment, auf den Timmy Binn den ganzen Abend gewartet hatte. Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Endlich war seine Zeit gekommen. Ganze zweieinhalb Stunden waren vergangen, seit er die Küche betreten hatte. Er setzte das Glas zwischen seinen Beinen auf dem Fußboden ab, faltete die Hände über dem Bauch und wartete auf die entscheidende Frage. Sie kam von dem Alten.
»Nun sag schon, Timmy, was hat dich heute Abend den langen Weg von dort oben zu uns geführt?«
»Ich wollte euch bitten, uns sechs oder acht Stühle zu leihen.«
»Wozu braucht ihr sechs oder acht Stühle?«, hakte der Onkel nach.
»Weil einer von uns gestorben ist, und wir haben nicht genug Stühle für die Totenwache.«
Stille. Der Onkel und der alte Mann tauschten »Hab ich doch geahnt«-Blicke aus. Sie hatten recht geraten. Es war um nichts Harmloses gegangen. Das Warten hatte sich gelohnt. Ungeachtet der Dringlichkeit des Begehrs hatte man sich verhalten, wie es der Brauch wollte. Und das war schließlich das Entscheidende.
Ab Sonntag für immer
Du wirst ein Dutzend Leute oder mehr finden, die dir sagen, an der Geschichte ist kein Wort wahr, und je näher du dem Ort kommst, an dem sie passierte umso mehr wächst die Schar der Ungläubigen. Als ich dem Mann, der mir die Geschichte erzählte, das vorgerechnet habe, nahm er die Pfeife aus dem Mund, spuckte ins Feuer und sah mich scharf an, und das ungemütlich lange. Er hat kein Wort gesagt, aber als er das Mundstück der Pfeife wieder zwischen die Zähne steckte, wusste ich, die Geschichte ist wahr, und wer immer das abstreiten will, ist entweder ein Dickschädel oder ein Dummkopf.
Das Ganze
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