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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John B. Keane
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das Christkind ihn nie wirklich im Stich lassen würde.
    »Aushilfs-Briefträger gesucht.« Die Anzeige hing nicht eben auffällig im Fenster der Poststelle, dennoch fiel sie Dolly Hallon ins Auge. Briefträger sind nette Leute, dachte Dolly, die sind freundlich und werden, was noch wichtiger ist, von allen geachtet. Vor ihrem geistigen Auge sah sie ihren Vater mit dem Postsack über der Schulter und der keck aufgesetzten Briefträgermütze die Straße hinuntergehen und jeden mit einem Lächeln grüßen, der ihm unterwegs begegnete.
    Wenn je ein Postmeister, egal ob von einem Neben- oder sonstigen Amt, diesem Ehrfurcht gebietenden Titel nicht entsprach, dann war das Fred Spellacy. Er war geradezu die Verkörperung von Nachgiebigkeit und Rücksichtnahme, gewissermaßen der Fußabtreter für alle und jeden. Ging etwas schief, machten ihn seine Vorgesetzten zum Sündenbock, seine Kunden ließen ihren Ärger an ihm aus, seine Frau beschimpfte ihn, und die angeheirateten Verwandten schalten ihn. Miss Finnerty, seine Postgehilfin, gackerte jedes Mal vorwurfsvoll wie eine Henne, die man beim Eierlegen stört, und all ihr Gegackere galt immer nur Fred. Niemals hätte sie so etwas gegenüber Freds Frau gewagt, aber bei der muckte auch sonst niemand auf.
    »Nun, mein Kind?«, fragte Fred Spellacy sanft.
    »Es ist wegen der Briefträgerstelle, Sir.«
    Fred Spellacy nickte, und das blasse, treuherzige Gesicht und die abgetragenen Sachen prägten sich ihm ein.
    »Wie alt bist du denn?«, erkundigte er sich wohlwollend.
    »Elf«, erwiderte sie, »aber es ist nicht für mich. Ich frag wegen meinem Vater.«
    »Ach, so!«, sagte Fred Spellacy.
    Dolly Hallon glaubte ein Lächeln auf seinem Gesicht zu sehen und probierte ebenfalls ein Lächeln, man konnte ja nie wissen.
    »Wie heißt er denn, wie alt ist er und wo wohnt er, mein Kind?«
    »Er heißt Tom Hallon«, sagte Dolly Hallon rasch, »siebenunddreißig Jahre ist er alt, und in der Hog Lane wohnt er.«
    Fred Spellacy kritzelte die Angaben auf einen Notizblock, der an einer Schnur neben dem Schalter hing. Tom Hallon kannte er recht gut. Das war keiner von den Tagedieben, hatte in der Fabrik gearbeitet, bis die zumachte. Ihm fiel auch ein, dass die Hallons im Ort als anständige, ehrliche Leute galten. Ehrlich und anständig! Manch einer hatte gar keine andere Wahl, als ehrlich zu sein, und anderen wieder gab man gar nicht erst die Gelegenheit, unehrlich zu sein.
    »Kann er lesen und schreiben?«
    »O ja«, versicherte ihm Dolly. »Er liest jeden Tag die Zeitung, wenn Mr. Draper von nebenan damit durch ist. Schreiben kann er auch! Er schreibt an seine Schwester in Amerika.«
    »Und wie ist das mit Irisch, kann er Irisch?«
    »Na gewiss«, äußerte sich die Elfjährige im Brustton der Überzeugung. »Er liest doch immer meine Schulbücher. Was soll er auch sonst mit seiner Zeit anfangen.«
    »Also, Miss Hallon, Folgendes muss der Vater machen. Er muss sich um die Stelle bewerben und eine Empfehlung von jemand Wichtigem beilegen, vom Gemeindepfarrer vielleicht oder einem der Lehrer. Ein Curriculum vitae mit Angaben zum beruflichen Werdegang wird er wohl nicht haben!«
    »Was ist denn das?«, fragte Dolly Hallon, die ihre Hoffnungen plötzlich schwinden sah.
    »Die Arbeitsstellen, die er bisher hatte, seine Qualifikationen...«
    Fred Spellacy schwieg und suchte nach Worten, um einfach zu erklären, welche Voraussetzungen man für die freie Stelle haben musste.
    »Bring ihn dazu aufzuschreiben, was er gut kann, und es muss schnell gehen. Die Stelle muss morgen Mittag besetzt sein. Weihnachten steht vor der Tür, und die Post häuft sich zu Bergen.«
    Dolly Hallon nickte zum Zeichen, dass sie alles verstanden hatte, und eilte nach Hause.
    Fred fühlte sich wie zerschlagen. Diese Mattigkeit kam nicht etwa daher, weil sein Dienst zu aufreibend war, vielmehr zermürbten ihn die ständige Inanspruchnahme durch seine Frau und die zahllosen Empfehlungen, mit denen man ihn bedrängte, die freie Stelle mit diesem oder jenem Anwärter zu besetzen. Die Spellacys hatten keine Kinder, aber Freds Frau Alannah sorgte dafür, dass keine Langweile aufkam. Immer war sie in der Offensive, und er brachte es nie fertig, sich zu wehren.
    Am Vormittag hatte er schon unklugerweise einem der beiden Parlamentsabgeordneten des Wahlkreises versprochen, dass er sich für dessen Kandidaten einsetzen würde, so gut er konnte. Wenig später klingelte das Telefon, und der andere Abgeordnete war dran. Fred blieb nichts

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