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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John B. Keane
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engere Wahl gezogen. Das waren die Kandidaten der beiden Abgeordneten, der seiner Frau und der völlige Außenseiter Tom Hallon aus der Hog Lane.
    Er hatte einmal gelesen, dass die alten Perser nie ein Urteil fällten, ohne einen zweiten Prozess zu führen. Den ersten Richterspruch fällten sie im Zustand der Trunkenheit und den zweiten, wenn sie wieder nüchtern waren. Als er am folgenden Morgen die Poststelle verließ, stand sein Entscheid im Grunde genommen fest. Er ging an seinem Stammlokal vorbei und suchte sich weiter weg in einem ruhigen Pub, der schon bessere Tage gesehen hatte, eine stille Ecke. Nach dem dritten Whiskey und ein paar Flaschen Starkbier zum Nachspülen geriet er in den sonderbaren, wenn auch vorübergehenden Rausch, den nur ein unmäßiger Alkoholgenuss erzeugt.
    Aus der Brusttasche zog er Tom Hallons Lebenslauf und las ihn noch einmal. Der war auf einem liniierten, sauber aus einem Schulheft getrennten Blatt geschrieben und war eindeutig das Werk seiner Tochter Dolly. Die Rechtschreibung war in Ordnung, aber sonst hatte der Antragsteller nur wenige besondere Fähigkeiten und Kenntnisse aufzuweisen. Tom hatte immer nur in der Fabrik gearbeitet und sonst nirgendwo. Die Arbeit hatte er ohne seine Schuld verloren. Das galt auch für jeden anderen Arbeitslosen im Umkreis von drei Meilen. Damit hatten dann aber auch die Schicksalsähnlichkeiten ein Ende. Dort stand nämlich, dass Tom Hallon, solange sich Dolly erinnern konnte, immer gut die Rolle des Weihnachtsmanns gespielt hatte. Die Geschenke, die er brachte, waren in Heimarbeit gebastelt und handwerklich nicht perfekt, doch jedes Mal hatte sein Auftritt viel Freude in die Familie der Hallons und in etliche andere von Armut geplagte Familien in der Hog Lane gebracht.
    »Also wenn ein Tom Hallon den Weihnachtsmann spielen kann«, sagte sich Fred Spellacy im Selbstgespräch, während er gemütlich in der kleinen Kneipe saß, »dann kann ich das auch. Wenn der Geschenke austeilen kann, kann ich das genauso gut.«
    Er gab sich einen Ruck, stand auf, knöpfte sich den Mantel zu und leerte sein Glas. Dann ging er unsicheren, aber beherzten Schritts in Richtung Hog Lane, in der Dolly Hallon wohnte.
    Auf das Echo, das ihn erwartete, war er einigermaßen gefasst gewesen, wenn er es auch nicht in vollem Umfang hatte ermessen können. Die abgeblitzten Bewerber, deren Familien, Freunde und Befürworter machten ihrem Unmut bis zum Christfest reichlich Luft. Sie ließen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit laut werden und an der Herkunft seiner Ahnen, und das in einer so böswilligen Art und mit so unflätigen Ausdrücken, dass er zum Schluss ihres Gezeters schon nicht mal mehr rot wurde.
    Einer konnte nur mit Gewalt davon abgehalten werden, ihn zu verprügeln, und die Frau eines anderen Enttäuschten spuckte ihm ins Gesicht. Nur ein einziges aussöhnendes Vorkommnis ließ ihn dieses Dauerfeuer an Beschimpfungen und Verunglimpfungen ertragen. Es blieben noch drei Tage bis Weihnachten. Vor dem Postschalter hatte sich eine Schlange gebildet, viele der Anstehenden verhielten sich feindselig, der Rest war ungeduldig.
    Von oben kam das jammervolle Gekreische seiner widerborstigen Gattin, und wenn das Gejammer aufhörte, dann fegte Ladung auf Ladung der bittersten Vorwürfe und Anschuldigungen die Treppe herunter, die schärfer und stechender waren als der ärgste Hagelsturm. Viel fehlte ihm nicht mehr bis zum Nervenzusammenbruch.
    »Ja und?«, fragte er in das leuchtende Gesicht eines kleinen Mädchens hinein, das an der Spitze der immer länger werdenden Schlange stand. Es wollte keine Briefmarken, auch kein Paket aufgeben. Dolly Hallon stand einfach nur da, auf ihrem bleichen Gesicht lag ein engelhaftes, anrührendes Lächeln. Sie sagte kein einziges Wort, doch ihre Dankbarkeit strömte ihm aus dem strahlenden Antlitz entgegen.
    Fred Spellacy fühlte sich, als wäre er in die Gemeinschaft der Heiligen aufgenommen. All seine Bekümmernisse schwanden. Sein Herz hüpfte. Sie zwinkerte ihm ruhig und leise zu. Fred musste sein Taschentuch herausziehen und sich laut schnäuzen.

Torfstechen

    Das Torfmoor war eine Mischung aus Braun- und Grautönen, grau, wo die Sonne die abgegrabenen Torfbänke und die am Zufahrtsweg stehenden, missgestalteten Stapel vom vorvorigen Jahr ausgebleicht hatte. Im Mondlicht wirkte das Grau wie Silber, doch der dunkelbraune Torf blieb düster, selbst wenn die Sterne tanzten und der Himmel in Flammen zu stehen schien. Bei schönem Wetter war

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