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Whiskey für alle

Whiskey für alle

Titel: Whiskey für alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John B. Keane
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das Torfmoor mein Spielgelände. Ich kannte die ausgetretenen Ziegenpfade, die Moorlöcher und die Nester der Wildgänse genauso gut wie die Gassen und Straßen des nahegelegenen Städtchens, in dem ich aufwuchs. Ich wusste, wem die Torfstichfelder gehörten, und kannte die Namen der Besitzer der Torfstapel. Ich wusste, wie dick die Torfschicht auf jedem Feld war und wo die Moraststellen glucksten, in denen Esel und Ponys bis zu den Flanken einsanken. Das kam daher, weil ich den größten Teil der Sommertage bei zwei schon älteren Verwandten verbrachte, die in einem mit Schilf gedeckten Häuschen am Rande des Torfmoors lebten. Die beiden waren Brüder, und sie wurden Mr. Chamberlain und Sir Stafford Cripps genannt. Das waren natürlich nicht ihre richtigen Namen, sondern Spitznamen, die die Nachbarn erfunden hatten, weil das Paar den britischen Politikern Neville Chamberlain und Stafford Cripps irgendwie ähnlich sah. Der Zweite Weltkrieg war voll im Gange, als ich Weg und Steg durchs Moor erkundete, und es war gar nichts Absonderliches, dass es in der Umgebung eine ganze Menge Rommels, Montys und McArthurs gab. Die hatten ihren Namen weg, weil sie ständig voraussagten, wie der Krieg ausgehen würde, oder weil sie gewisse Charakteristika an sich hatten, die an die bekannten Generäle erinnerten.
    Mr. Chamberlain war der ältere der beiden Brüder. Er war mager wie ein Windhund, kahl wie ein Bless-huhn und so wortkarg, dass man ihn fast für taubstumm hätte halten können. Sir Stafford hingegen war ungemein redselig und kontaktfreudig. Beide bezogen ihre Altersrente. Jeden Freitag spannte Sir Stafford den Esel an und fuhr in die Stadt, um die Rente zu holen. Mr. Chamberlain wollte sich zu derart weltlichen Angelegenheiten nicht herablassen, er begab sich nur am Sonntag in die Stadt zur Messe. Die beiden kamen gut miteinander aus. Mitunter gab es Meinungsverschiedenheiten, aber die waren harmloser Natur. Mir ist ein solcher Anlass erinnerlich. Es war Anfang September. Überall wurde Torf gestochen, und täglich wurden neue Stapel am Zufahrtsweg aufgeschichtet. Die Brüder hatten frühzeitig mit dem Torfstechen begonnen, hatten zwei Lagen Torfsoden zum Trocknen ausgelegt und die Soden immer wieder gewendet. Jetzt standen sie zu Ringeln aufgestellt im Moor auf dem mit Heidekraut bedeckten Torffeld, das die Familie schon seit Generationen mit dem Brennmaterial versorgte. Die Soden mussten dann vom Torfloch an den Zufahrtsweg geschafft werden, wo sie zu Mieten aufgeschichtet wurden.
    Mitte August bis Mitte September war die beste Zeit zum Torftransport. Die Wege zu den Torfbänken waren dann trocken und fest, später wurden sie infolge heftiger Regenfälle unpassierbar. Wenn das geschah, blieb der gestochene Torf bis zum späten Frühjahr des nächsten Jahres im Moor, und die Torfbauern mussten mit den Resten alter Mieten auskommen, oder mitunter auf dem Rücken Säcke voll Soden mühselig aus den stehengebliebenen Ringeln heranschleppen.
    »Wir haben noch Zeit«, verkündete Mr. Chamberlain, als wir auf dem Steinwall vor dem Haus saßen.
    »Da bin ich anderer Meinung«, entgegnete Sir Stafford.
    »Wieso das?«, fragte Mr. Chamberlain, »wenn ich doch sage, wir haben noch Zeit.«
    »Weil ich in Hanafins Radio gehört habe, wie der Wettermensch Regen angekündigt hat.«
    »Was wissen denn die im Radio schon?«, schnaubte Mr. Chamberlain verächtlich. »Die verstehen doch vom Moor hier nicht mehr als ein Esel.«
    »Die wissen ’ne ganze Menge«, beharrte Sir Stafford.
    »Es regnet morgen nicht«, stellte Mr. Chamberlain entschieden fest. »Der Wind weht aus der richtigen Richtung, und der bringt Wärme mit, und wenn es warm ist, wird nach allen Regeln die Sonne scheinen, weil der Wind die Wolken vertreibt.«
    Um seiner Überzeugung Nachdruck zu verleihen, hob er den Kopf und reckte seine dünne, empfindsame Nase in den Wind. In der Vogelfluglinie war die See keine fünf Meilen entfernt, und mitunter hing Salzgeruch in der Luft. Stand die Flut hoch, wehte der durchdringende Geruch von Seetang herüber, oft war es auch Fäulnisgestank. Hatte ein Mann genügend Erfahrung und ein gesundes Urteilsvermögen, konnte er riechen, ob es Regen geben und die Wetterfront in den nächsten Stunden vom Meer heranziehen würde.
    »Wir kriegen keinen Regen, nicht einen Tropfen!« Mr. Chamberlain erhob sich etwas unsicher und schlenderte die Straße hinunter zum Weg, der zu den Torfbänken führte. Er war während dieses Sommers stärker

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