Whisky: Mord im schottischen Schloss (German Edition)
dann an die andere, als sich nichts rührte. Wenige Sekunden später wurde die Tür von innen aufgerissen und ein vor Schreck bleicher Robert sah ihr entgegen.
„Camilla!“ Was machen Sie denn hier? Ist etwas passiert?“
„Ja, das kann man wohl sagen. Wir haben eine Leiche gefunden.“
„Eine Leiche? Oh Gott! Kommen Sie, wir gehen in das Wohnzimmer.“ Er nahm sie am Ellenbogen und sie gingen hinunter. Robert schenkte sich ein Glas aus einer mit goldgelber Flüssigkeit gefüllten Karaffe ein. Er sah sie mit hochgezogener Augenbraue fragend an. Sie schüttelte den Kopf.
„Wo haben Sie die Leiche gefunden?“ fragte er, nachdem er sich gesetzt hatte.
„Am Strand. Es ist eine nackte Frauenleiche. Um wen es sich handelt, wissen wir nicht. Sie steckte mit dem Kopf bis zum Bauch im Sand und wir durften nichts berühren, bevor die Polizei eintraf. Kennt man ja genügend aus Krimis. Insofern wissen wir natürlich nicht genau, wer die Leiche ist. Die Polizei beschäftigt sich jetzt gerade mit ihr. McLeish vermutet aber, dass es sich um Gianna, äh, um Nanna handelt.“
„Ja? Wie kommt er denn darauf?“
„Er hat es nicht genau erklärt, aber ich vermute, dass er den Körper, na ja, wiedererkannt hat. Er hat sie wohl schon spärlich bekleidet gesehen, vermute ich.“
„So?“ fragte Robert leicht gelangweilt.
„Hm. Und ich habe auch das Gefühl, dass sie es ist. Oder haben Sie im Pub gehört, ob jemand vermisst wird hier in der Gegend? Das hätte sich doch herumgesprochen. Und nach allem, was passiert ist…“
Bedächtig nickte Robert.
Irgendwas stimmte nicht. Er machte einen zu gelassenen Eindruck, fand sie. Außerdem – warum hatte er als erstes gefragt, wo sie die Leiche gefunden hatten und nicht, wen? War das logisch? Oder sah sie schon Gespenster?
„Jedenfalls müssen Sie so schnell wie möglich verschwinden, für den Fall, dass es Nanna ist. Man wird sicherlich bei den Nachforschungen auf Sie stoßen, wie auf uns alle. McLeish hat mit Isabelle, Georg und mir durchgesprochen, was wir zu sagen haben.“
„Wer ist Georg?“ fragte Robert, nun doch alarmiert.
„Ein Freund von mir, der in London Nachforschungen betrieben hat, um Näheres über die uns damals noch unbekannte, aber dubiose Gianna Reiche herauszufinden. Er ist heute Abend angekommen.“
„Ach, der, den ich im Hotel fast über den Haufen gerannt habe?“
„Genau.“
Robert knabberte an der Unterlippe.
„Was ich am schlimmsten finde“, fuhr Camilla fort, „ist, dass man die Leiche obszön angezogen und kopfüber in den Sand gesteckt hat, dass nur noch ein Teil des Rumpfes und die Beine herausragten. Von weitem sah es aus wie ein Baumstumpf mit zwei Ästen. So etwas kann man nur dann arrangieren, wenn bereits die Leichenstarre eingetreten ist, also fünf bis sechs Stunden nach Eintritt des Todes, wenn ich mich noch an die Tabelle von Nysten erinnere. Man kann den Vorgang durch Einfluss von Wärme beschleunigen oder, umgekehrt, durch Kälte verzögern, aber nach spätestens achtzehn Stunden ist die Leichenstarre dann erreicht. Da Sie am Abend vorher noch mit ihr gesprochen haben, muss der Mord in derselben Nacht passiert und die Leiche dann am frühen Morgen – äh – eingegraben worden sein. Immer vorausgesetzt, es ist Nanna.“
Während ihrer Rede hatte sich Roberts Mund geöffnet und zum Schluss sah er sie dämlich grinsend an. Mund zu, es zieht, dachte Camilla.
„Nysten? Woher wissen Sie etwas über Totenstarre?“
Überlegen grinste sie. „Ich habe in meinem Leben nicht nur Hotels eingerichtet und faule Säcke durch die Turnhalle gescheucht.“
Er schwieg. „Und weiter?“ fragte er herausfordernd.
„Medizin studiert.“
„Nein, ich meine mit Nanna.“
Sie lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
„Als wir sie heute suchten, war ihr Auto verschwunden. Also ist sie wirklich weg oder jemand hat das Auto versteckt. Dazu braucht man einen Autoschlüssel, nicht zwingend, aber ist natürlich einfacher. Ich ziehe den Schluss, dass man sie in ihrem Zimmer getötet, in ihrem Wagen weggefahren und diesen versteckt hat, sie ausgezogen, an den Strand gebracht und anschließend ihre Sachen gepackt und ebenfalls weggeschafft hat.“
Robert fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare. Camilla zündete sich eine Zigarette an, sie wusste nicht, die wievielte an diesem Abend.
Ihr kam ein Gedanke. Warum nicht mal eine Fangfrage stellen? Obwohl es ihr eigentlich egal war, wer Nanna umgebracht hatte, wenn sie
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