Whisper (German Edition)
abgesetzt hatten, waren sämtlich Hebel in Bewegung gesetzt worden, um die Jugendlichen aus dem Wald zu holen. Nur die Feinheiten, Gespräche, Handlungen, und kleinen Momente, die ganze Berge versetzt hatten, kannte niemand, und es gab kaum jemanden, der nicht darauf brannte, Genaueres zu erfahren. Was hatte sich zugetragen, nachdem die Jugendlichen von den Erwachsenen getrennt worden waren, nachdem Jasmin mitten in der Nacht verschwunden war, und der Sturm die Nacht über das Land eingeweicht hatte?
„Wir sollten ins Haus gehen“, erklärte Susanna schließlich, „du wirst Hunger haben.“ Sanft lächelte sie Patrick zu. „Und außerdem möchte ich wissen, was sich zugetragen hat und ich denke, damit nicht allein zu sein. Komm schon“. Sie legte dem Jungen die Hand auf die Schulter und veranlasste ihn so, den Blick von Jasmin zu nehmen und warf dabei auch ihrem Mann einen bedeutungsvollen Blick zu, der kaum merklich nickte. Er hatte verstanden.
„Die Gruppe ist bereits unterwegs hierher“, sprach Susanna weiter und schob Patrick vor sich her. „Ich habe vorhin einen Funkspruch erhalten. Judith wurde ins Krankenhaus geflogen und Kino ist soweit in Ordnung. Ein paar blaue Dellen, aber die verheilen von allein wieder. Er wird mit den anderen bald hier sein. Komm schon. Ich bin mir sicher, dass Jasmin jetzt auch ohne dich ganz gut zurechtkommt.“
Sah man ihm das so deutlich an? Patrick warf Susanna einen unsicheren Blick zu und bemerkte, wie sie zart zwinkerte.
„Sie hat Kino heute Morgen geküsst“, kam es leise über seine Lippen, und er erschrak fast, als er sich selbst sprechen hörte. Es hätte nur ein Gedanken bleiben sollen.
„Und sie wird es noch öfter tun“, kam es von Susanna ebenso flüsternd zurück. „Für dich wird sich ein anderes hübsches Mädchen finden, wenn du auch zuhause lernst, wieder am Leben teilzuhaben. Vor dem PC wird sowas schwer werden.“
Patrick wusste durchaus was sie meinte und nickte sanft. Ja, er hatte es erlebt, am eigenen Leib, und das Gefühl, nichts wirklich beeinflussen zu können, hatte ihn mächtig erschreckt.
„Ich werde es sicher nicht mehr tun. Zumindest nicht mehr so häufig. Die Welt in echt zu erleben ist doch anders. Schärfer als ich dachte.“
Susanna legte ihm lächelnd den Arm über die Schulter und drückte ihn kurz an sich.
„Ich hoffe, du erinnerst dich auch noch in München daran. Du wirst dich wundern, was dich dort alles erwarten wird.“
Patrick nickte sanft. Gerne hätte er noch einen Blick auf Jasmin geworfen. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte er sie abstoßend gefunden. Ihr gesamtes Äußeres, erschreckend heftig. Aber hinter der Hülle steckte ein liebevoller Mensch, ruhig vom Gemüt, hilfsbereit, freundlich, nett, sympathisch. Vielleicht hätte er doch zuerst hinter die Hülle schauen sollen, was er nicht getan hatte. Patrick schwor sich in diesen Sekunden, sich nicht mehr von einem hässlichen Antlitz abschrecken zu lassen, sondern zuerst nach dem inneren Kern zu suchen und verglich es für sich mit einem PC. Ein schmutziger, alter, abgegriffener PC musste nicht unbedingt ein schlechter sein. Auch da zählte das Innenleben.
„Dann werde ich mich dort anschließen!“ Kinsky warf zuerst einen Blick auf seinen Freund, dann auf die Gestalt, die über die Wiesen marschierte. Oh doch, er hatte den schnellen Wink seiner Frau gesehen und gut verstanden.
Jasmin war in kurzer Zeit mit vielen Dingen konfrontiert worden, die nicht in ihre Welt gehörten. Sie hatte Grenzen übertreten und mächtige Hindernisse übersprungen. Doch es war bestimmt der falsche Weg, ihr Mitteilungsbedürfnis zu erhalten, indem man sie an großen Gesprächen und Erzählungen teilhaben ließ.
Kinsky warf Jaro einen bittenden Blick zu. Er war vermutlich momentan derjenige, der am besten an Jasmin herankam, ohne sie wieder zu verschrecken oder den Wunsch zu sprechen wieder minimierte. Kino, David und Jaro … Kinsky war sich sicher, dass ohne deren Einfluss das Mädchen niemals zu solchen Taten fähig gewesen wäre.
„Wartest du hier auf sie?“ Es war ein stiller Blick, den die Männer ausgetauscht hatten. Jaro wusste durchaus, was gemeint war und nickte sanft. Auch seine Augen wanderte Richtung Waldrand, wo Tom neugierig den Kopf hob, als er das Mädchen erkannte, welches sich ihm näherte.
„Ich werde da jetzt nicht mehr eingreifen“, erklärte Kinsky leise, wandte sich um, stand im Begriff ebenfalls zum Haus zu gehen, blieb aber kurz
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