Whisper (German Edition)
nochmal stehen. „Jaro, ich verlasse mich da ganz auf dich.“
„Wir kommen nach“, antwortete dieser mit einem leichten Aufseufzen, trat an seinen Freund heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Kinsky erwiderte die Geste, indem er dem Indianer auf den Oberarm griff, aber dann doch Richtung Haus verschwand.
So sehr Kinsky sich für Jasmin verantwortlich fühlte, jene Dinge, die passiert waren, gehörten großteils nicht mehr in seine Hand. Es war leicht, sie einfach zu übersehen, nicht darüber nachzudenken, sie abzutun, als wäre Jasmin und das, was rund um sie geschehen war, etwas Normales, etwas Alltägliches. Es war nicht alltäglich. Jasmin hatte nicht nur einen besonderen Zugang zu der Aura, die in den Wäldern herrschte, sondern sie wurde von besonderen Mächten geschützt und geleitet. Warum das so war, Kinsky hatte darauf weder eine Antwort noch eine Erklärung. Damit umzugehen war eine Sache, die man können musste. Jaro konnte es. Es war seine Kultur, seine Lebensphilosophie. Wenn jemand wusste, wie was zu handhaben war, und wie man etwas verstehen musste, dann waren das er und seine Familie.
Jaro, beobachtete noch, wie Kinsky die Haustür zuwarf, schloss seinen Pick Up und schlenderte über den Hof Richtung Koppel. Er beobachtete, wie sich das Mädchen dem schwarzen Wallach näherte, der sie interessiert beäugte. Jasmin schien mit ihm zu sprechen, denn er senkte den Kopf nicht mehr, sondern kam ruhigen Schrittes auf sie zu und ließ sich ohne Probleme am Zügel nehmen. Jaro kannte Tom seit er zur Welt gekommen war. Er war ein kleines, freches Fohlen gewesen, mit dem seine Mutter ihre liebe Not hatte, da er sich ständig von ihr entfernte. Auch später erwies er sich als aufgeweckt und dreist. Das änderte sich, als er kastriert und von Kino eingeritten wurde. Sein fröhlicher Übermut verschwand und er wurde zum Mitläufer. Er war ruhig, brav und machte überall mit, was ihn zu einem begehrten Reitpferd machte. Jeder, der auf ihm zu reiten begann, mochte ihn, da er nie aus der Rolle fiel. Er buckelte nie, war nie zu schnell und immer freundlich. Aber trotzdem schien dem Pferd etwas zu fehlen.
Seit es Jasmin gab, hatte sich das Tier verändert. Ein gewisser Glanz war in seinen Augen erschienen, seine Lethargie war verschwunden, und er schien an Leben zu gewinnen. Er sah das Mädchen anders an und wurde unruhig, wenn mit ihr etwas nicht stimmte. Noch nie, absolut noch nie, hatte Tom gebuckelt, doch als die Wilderer ihn, zusammen mit den anderen Pferden, wegbringen wollten, hatte er ungeahnte, kämpferische Fähigkeiten entwickelt. Wie ein Rodeopferd war er mit allen Vieren durch die Luft gesprungen, hatte sich losgerissen und war Hals über Kopf geflohen.
Heute hatte er sich zum ersten Mal, seit er ihn kannte, anderen Menschen verweigert und sich nicht einfangen lassen. Das hätte es bis vor wenigen Tagen nicht gegeben. Menschen bedeuteten für Tom, Pflege, Streicheleinheiten und vor allem Futter. Sich diesen wichtigen Dingen zu widersetzen war neu. Jetzt wartete er am Waldrand. Für Jaro war klar, er wartete nicht auf irgendjemanden, sondern genau auf jenes Wesen, das jetzt auf ihn zukam, ihn sanft streichelte und ihn vermutlich tadelte, warum er so dumm gewesen war, sich nicht einfangen zu lassen. Jasmin war dieses einzigartige Verhalten nicht bewusst. Vermutlich nahm sie es noch nicht mal wirklich wahr, dass Tom sein großes Pferdeherz für sie geöffnet hatte.
Das Mädchen nahm den Zügel an sich, strich dem Tier über den Hals und führte ihn Richtung Stall. Als ob er etwas mächtig Böses angestellt hätte, dackelte Tom hinter ihr her und schien sich sogar noch dichter an sie zu drängen, als Jaro an Jasmin herantrat und sie die restlichen Schritte begleitete. Für Jasmin war es nicht weiter schwierig dem Pferd das Zaumzeug abzustreifen, doch beim Gurt hatte sie Probleme. Jaro wartete erst gar nicht so lange, bis sie entnervt aufgab, sondern ging ihr zu Hand und sattelte das Pferd ab.
„Deine Hände werden heilen“, meinte er, als er den Sattel ablegte und ihren missmutigen Blick bemerkte, „gib ihnen Zeit.“
Jasmin nahm das stillschweigend zur Kenntnis und legte Tom das Halfter an. Sanft rieb sich der Wallach an ihrer Schulter, während sie ihm langsam über den Mähnenkamm fuhr.
„Er mag dich“, bemerkte Jaro weiterhin nebenbei, während er auch die Satteldecken über die Anbindestange legte. „Tom hat schon viele junge Gäste durch den Wald getragen und auch
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