Whisper (German Edition)
das im Moment vergangen und Stefan wünschte einer Kreuzschmerzen und der anderen zahlreiche Blasen an den Fingern, bei einer Heilungsdauer von zwei Wochen. Doch wie bei jedem Trailritt, gewöhnten sich die Reiter nach einer Weile an die Bewegungen des Pferdes, entspannten sich und begannen irgendwann Spaß an der Sache zu haben. Wie es Judith im Schafstall erging, war nur zu erahnen.
Patrick wurde nach der ersten halben Stunde spürbar langsamer. Er beklagte sich über schmerzende Beine, über Blasen und blaue Flecke, bat sogar umkehren zu dürfen, doch das ließ Stefan nicht zu, sondern trieb ihn erbarmungslos weiter. Nach einer Stunde war es dann soweit. Patrick glaubte an den sicheren Tod, wenn er jetzt noch weiterzugehen hätte, und ließ sich in den Sattel helfen. Endlich konnte er seine Beine entlasten.
„Und du?“, fragte Stefan mit einem prüfenden Blick auf Jasmin, doch die schüttelte nur den Kopf. Sie jammerte nicht, beklagte sich nicht und hielt problemlos das Tempo. Stefan stand sogar der Sinn danach, sie hinter sich einreihen zu wollen, um sie etwas besser im Blickfeld zu haben, doch Jasmin weigerte sich standhaft, nach vorne zu kommen. Was hätte er tun sollen? Gewalt anwenden? Also ließ er ihr ihren Willen. Jasmin war und blieb Schlusslicht.
Nach vier Stunden reiner Reitzeit legten sie eine Pause ein. Alle beschwerten sich über ihren Hintern und Edith beteuerte, kein Kreuz mehr zu haben. Patrick ließ sich irgendwo ins Moos fallen, beschloss halb sterbend nie wieder aufzustehen und Christina erklärte, nie gedacht zu haben, dass sie die Wildnis einmal per Pferd durchkämmen würde. Dieser Meinung konnte sich Markus nur anschließen. Beide ließen sich von Stefan erzählen, wie sein erstes Mal verlaufen war. Er hatte sich nicht so schnell gefügt, sich mit Händen und Füßen gegen die „Gäule“ gewehrt, aber dabei seine Rechnung ohne Kinsky gemacht, der damals den Trail führte. Der Mann fand Wege, Stefan schnell zu überzeugen, der zuerst mit Zorn und Wut durch die Wildnis gewandert war. Allerdings hatte der Schweiß seine Gefühle wegschwimmen lassen. Irgendwann war er in den Sattel gestiegen, um seine Beine entlasten zu können. Wie jetzt Patrick, hatte auch ihm damals so ziemlich alles wehgetan, was nur wehtun konnte. Eine Erfahrung, die er nicht mehr vergessen hatte. Heute liebte er die Reiterei und fühlte sich im Sattel mehr als nur wohl.
Während er erzählte, schielte er immer mal wieder auf Jasmin und empfand schon jetzt tiefe Bewunderung für sie. Sie hatte die gesamte Zeit ihr Pferd geführt, war zu Fuß gegangen und zeigte kaum Ermüdungserscheinungen. Es war, als wäre sie die Einzige, die in der Geschichte von Six Soul die Kondition hatte, den Marsch durchzustehen. Würde sie es tun? Würde sie es wirklich durchziehen? Aus Sturheit? Angst? Verzweiflung? Stefan wagte noch nicht mal daran zu denken. Schon jetzt tat sie ihm mehr als nur leid. Sie war kein Problemkind, benötigte mit Sicherheit keine Disziplinierung und war die Letzte, die an ihre Grenzen getrieben werden sollte. Bisher hatte noch niemand den Marsch zu Fuß geschafft. Alle waren sie zu Pferde auf Six Soul eingetroffen. Wann würde Jasmin aufgeben? Wann würde sie in den Sattel steigen? Bitte, Mädchen, steig in den Sattel. Steig einfach in den Sattel und tu dir damit selbst einen Gefallen. Eine still gestellte Bitte, die aber von niemandem erhört wurde.
Nach einer halben Stunde Rast drängte Stefan zum Aufbruch. Man zog die Sattelgurte, die man gelockert hatte, wieder fest und saß auf. Nur Jasmin blieb am Boden, wickelte den rechten Zügel um den Sattelknauf und nahm den linken einmal mehr in ihre Hand. Ganz kurz tippte Tom sie mit der Nase an und rieb sich zart an ihrer Schulter. Jasmin hielt für Sekunden dagegen, bevor sie seinen Kopf energisch zur Seite drückte. Ein weiterer Beweis für Stefan, dass sie mit dem Umgang von Pferden vertraut war. Er wagte sogar zu glauben, dass diese Tiere zu ihrem Leben gehört hatten. Die Betonung lag auf ´hatten`, denn es war offensichtlich, dass sie sich von ihnen entfernt hatte. Warum auch immer.
Irgendwo in den Bäumen hinter der Gruppe krächzten zwei Rabenvögel um die Wette und übertönten mit ihrem Geschrei jedes andere Geräusch der Natur. Während Stefan den Vögeln nur einen kurzen Blick schenkte und über das Geschnatter den Kopf schüttelte, beobachtete Jasmin sie eine Weile. Es waren relativ große, mächtige Vögel mit tiefschwarzem Gefieder. Ihre
Weitere Kostenlose Bücher