Whisper (German Edition)
unfreiwillig, verlassen. Also, wer wird reiten und wer hat vor, zu Fuß zu gehen?“
Kino hatte sich nach einiger Zeit, zögernd aber doch, den Kids zugewandt, die nun neugierig auf die Pferde zugingen. Jasmin hielt sich abermals zurück. Es ging nicht anders. Niemand bemerkte ihr Zittern, ihre Scheu, ihren Zwiespalt mit sich selbst. Sie konnte nicht reiten. Das war unmöglich. Entfernt hörte sie, wie Kinsky die einzelnen Pferde vorstellte. Kino band sie los und drückte die Zügel dem jeweiligen Reiter in die Hand. Es wurde unsicher gelacht, geblödelt, und da und dort ein bescheuerter Kommentar geschoben. Die Unsicherheit, wie mit dem mächtigen Wesen Pferd umgehen, war deutlich zu spüren. Jasmin trat nicht näher heran.
Der Grauschimmel wurde an Patrick übergeben, der etwas zurückwich, als das Pferd ihn sanft mit der Nase anstieß. Man lachte, als er einen Angstruf ausstieß. Verloren stand Jasmin abseits der Gruppe und spielte mit dem Gedanken, zum Pick Up zurückzulaufen. Mit sich selbst nicht im Klaren blickte sie zurück. Es waren Tränen, die sich in ihrem Hals sammelten. Tränen der Verzweiflung. Whisper, ich kann das nicht! Hörte sie sich wieder im Geiste sagen und erschrak mächtig, als sie bemerkte, wie jemand ihre Hand nahm. Kino stand direkt vor ihr, schenkte ihr einen kurzen, freundlichen Blick, bevor er sie sanft mit sich zog. Jasmin war so überrascht, dass sie dem Druck nachgab, und dem jungen Mann wie ein Hund folgte, der sie vorsichtig zu dem letzten Pferd führte, welches dort geduldig am Zaun stand. Er nahm den Zügel, öffnete ihre Hand und legte das Leder hinein.
„Sein Name ist Tomahawk“, erklärte der Junge und ließ das Tier einige Schritte zurücktreten. „Aber wir alle nennen ihn Tom. Er wird auf dich aufpassen. Tom weiß, wenn er wertvolle Fracht trägt. Vertrau ihm einfach.“
Kinos Stimme war ruhig, genauso wie sein Umgang mit ihr und dem Pferd. Dennoch trug es nicht dazu bei, dass sich Jasmins innere Aufregung legte. Sie starrte auf das Tier, auf den Zügel in ihrer Hand. Hätte ihn beinahe fallen lassen, nein, von sich geworfen. Ihr Herz schlug bis zum Hals, die Tränen, sie waren noch da, wollten nicht weichen.
Sanft stieß das Tier sie an, sodass sich Jasmin ihm zuwandte. Tom schnaubte leicht, spitzte die Ohren und sah sie aus seinen dunklen Pferdeaugen an. Jasmin zerbrach fast an diesem Blick. Es waren nicht seine Augen. Doch es waren seine Augen, aber es war nicht sein Blick. Dieser Blick gehörte nicht ihm, er gehörte irgendwie … Whisper. Jasmin schluckte hart. Ohne es zu merken, legte sie dem Tier die Hand an den Hals. Ihr Atem zitterte. Kinos Anwesenheit nahm sie kaum noch wahr, auch nicht seinen beobachtenden Blick. Er merkte alles. Bemerkte ihre Regungen, die Gefühle, die dieses Pferd in ihr auslöste, wusste, dass alte Erinnerungen zum Vorschein kamen, und dass es sie tief in der Seele schmerzte. Er fühlte ihren inneren Kampf und spürte ihre Verzweiflung.
Jasmin umklammerte den Zügel. Nein, sie würde Whisper nicht verraten. Sie würde sich an das Versprechen halten, welches sie ihr gegeben hatte. Tom konnte das liebste Pferd auf Erden sein, aber er war nicht Whisper.
Als Kino bemerkte, wie sie sich etwas beruhigte, ließ er Jasmin allein und begab sich an Kinskys Seite, der die Kids beobachtete, wie sie versuchten, ihre Pferde teils sehr unbeholfen einfach nur zu führen. Stefan half jedem, der sich noch unsicher war. Edith war schließlich die Erste, die sich in den Sattel wagte und fröhlich herunter winkte. Sie schrie irgendwas von ´toll` und ´Sofa` und ´superbequem` und steckte Markus damit an, es ihr nachzumachen. Er war der Zweite im Sattel.
„Wer ist sie?“, fragte Kino, der den Kids mit einem Lächeln zusah.
„Wer? Jasmin?“
Kinsky warf einen Blick auf das Mädchen, die noch immer bei dem schwarzen Tom stand, ihn noch keinen Millimeter bewegt hatte, dafür jetzt ihre Hände über sein Fell gleiten ließ.
„Sie hat keine Angst vor dem Pferd“, bemerkte Kino, „sie hat Angst vor sich selbst.“
Kinsky nickte.
„Und es ist umso schwerer, weil sie nicht spricht. Man kennt von ihr weder Gedanken noch Ängste, noch Sorgen, Vorlieben …“ Kinsky zuckte mit den Schultern. „Schlicht nichts. Eigentlich passt sie nicht zu uns, denn sie ist keine von den üblichen Problemfällen. Du weißt schon, Alkohol, Drogen, Diebstahl, Respektlosigkeit, solche Dinge. Sie hat Respekt. Sie ist willig, Susanna hat sie bereits ins Herz geschlossen,
Weitere Kostenlose Bücher