Whisper (German Edition)
krächzenden Laute klangen unheimlich und bedrohlich. Jasmin fühlte eine Gänsehaut über ihren Körper gleiten und schob das auf die Tatsache, dass Rabenvögel immer in Verbindung mit Hexen oder dem Sensenmann in Erscheinung traten. Sie schafften automatisch ein gruseliges Ambiente.
Auch in ihrer Heimat, in München, gab es Rabenvögel, allerdings handelte es sich dabei um wesentlich kleinere Krähen oder Dohlen, die die Stadt zuhauf bevölkerten und sich von Überresten menschlicher Nahrung ernährten. Glaubten diese beiden schwarzen Federtiere hier etwas Fressbaren zu finden? Es war nochmal ein kurzer Blick, den sie den Vögeln zuwarf, bevor sie sich abwandte und der Gruppe wieder folgte. Oh doch, sie spürte ihre Beine, keine Frage, aber sie war es gewohnt, viel zu laufen. Und das Reiten auf Whisper hatte ihre Beine gehärtet. Whisper! Als ob Tom es merken würde, stupste er sie leicht an. Er war ein gutes und geduldiges Pferd. Jasmin strich ihm sanft über die Nase. Aber er war eben nicht Whisper. Die gute, alte Stute, mit der sie so viel Zeit verbracht hatte, und die es jetzt einfach nicht mehr gab. Sie war aus ihrem Leben gegangen, viel zu schnell, ohne Abschied, ohne Grund. Whisper! Jene gute Seele, die immer für sie da gewesen war, zugehört und Trost gespendet hatte, und schon damals hatte sie ihr nicht nur ein Versprechen gegeben. Ihr Herz, es schlug noch so stark für das alte Pferd, welches sie nicht mehr berühren durfte, welches es nicht mehr gab …
Jasmin zuckte zusammen, als sie plötzlich vor sich in den Bäumen wieder die beiden Rabenvögel bemerkte. Waren es dieselben? Krampfhaft versuchte sie sich zu erinnern, was sie in der Schule jemals über Raben gehört hatte. Es gab mehrere Gattungen, die Größeren wurden als Raben, die Kleineren als Krähen bezeichnet. Sie galten als intelligent, äußerst lernfähig und hatten die Gabe, sich selbst im Spiegel wiederzuerkennen. Welche Gattung dort gerade in den Bäumen saß, wusste sie nicht, aber wenn Raben wirklich so klug waren, warum erkannten sie nicht, dass es hier nichts zu fressen gab?
Das Mädchen beobachtete die Vögel, während sie daran vorbeiging, sah sogar nochmals zurück und bemerkte, wie sie in den Bäumen davonflogen. Es verging wieder eine Weile des ewigen stupiden Gehens, als sie vor sich abermals dieses Krächzen hörte und die beiden Vögel bemerkte, die wichtig zwischen den Ästen hockten und herunterschnatterten. Kurz blieb Jasmin stehen. Folgten ihnen die Vögel? War es nur sie, die das bemerkte, oder bekamen das die anderen auch mit? Schnell war der Blick, den sie auf die Reiter warf. Edith und Christina hingen wie zwei Mehlsäcke im Sattel, Markus schien gedankenverloren, und Patrick dachte wohl gerade an enter , alt und shift . Stefan hatte seinen Blick nach vorne gerichtet, schien aber auch nicht wirklich auf die beiden Raben zu achten.
Einmal mehr ging sie an den Vögeln vorbei. Musste sie Angst haben? Waren diese Vögel ein schlechtes Omen? Mittlerweile war sie gute sechs Stunden auf den Beinen. Sie spürte den Marsch in jeder Faser ihres Körpers. Solange sie sich jetzt nicht hinsetzte, würde sie weitergehen, auch weitere sechs Stunden, wenn es sein musste. Jasmins Blick war schon tiefgreifend, als sie die Vögel hinter sich ließ und bemerkte, wie sie abermals durch den Wald davonflogen.
Es dauerte gar nicht lange, und sie hörte abermals ein Geräusch, undefinierbar, nicht einzuordnen, weit entfernt, und doch wieder ganz nah. Ein Laut, der nicht in die Umgebung gehörte, der nicht passte, der nichts mit der Wildnis zu tun hatte. Ängstlich … ein Hilferuf? Jasmin blieb stehen und lauschte hinein in die Stille der Natur. Es sauste in ihren Ohren. Sie spürte es kribbeln und vernahm es wieder, jenes Geräusch, welches sie nicht zuordnen konnte, und verspürte den mächtigen Wunsch, dem Ruf zu folgen. Ihr Blick wanderte zwischen die Bäume, durch den dicht bewachsenen Wald hindurch. Es war ihr nicht möglich, irgendwas zu erkennen, aber das Drängen, genau dorthin zu gehen, blieb. Vorsichtig warf das Mädchen einen Blick auf die Reiter, die sich immer mehr von ihr entfernten, nicht merkten, dass sie stehengeblieben war. War es gut, allein in den Wald zu gehen und Tom stehen zu lassen? Dieses Drängen … Jasmin sah auf den Zügel in ihrer Hand, dann auf das Pferd neben sich. Sein Blick strahlte Ruhe aus. Er würde warten, dessen war sich Jasmin ganz sicher.
Ohne weiter auf die andere zu achten, ließ sie den
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