Whisper Island (01) - Sturmwarnung
gestorben und ich konnte meine Mutter nicht auf dem Handy erreichen, um ihr Bescheid zu sagen. Deshalb bin ich zum Gebäude der Anonymen Alkoholiker gegangen, um Sie zu treffen, aber als an dem Abend die Polizei kam, musste ich weg, weil …«
»Augenblick. Augenblick.« Debbie kratzte ihre vernarbte Stirn, wühlte in der Tasche und holte ihre Zigaretten heraus. Bevor sie eine anzündete, fragte sie: »Wann ist denn die Polizei gekommen?«
»Als ich mit Josh und Chloe draußen war, ist doch der Sheriff gekommen. Als ich ihnen die Schwertwale gezeigt habe. Ich konnte nicht zulassen, dass sie mich mitnehmen, Debbie. Und schon gar nicht vor den Kindern.«
»Sprichst du von Dave Mathieson?«
Becca nickte. »Ich dachte, jemand hätte mich verraten. Er suchte mich sowieso wegen dem Handy, das ich im Wald liegen gelassen hatte. Und ich dachte, wenn er herausfindet, dass meine Mutter mich auf der Insel zurückgelassen hat …«
Debbie blies eine Rauchwolke aus. »Du dachtest, Sheriff Mathieson wäre deinetwegen zum Motel gekommen?«, fragte sie und legte die Hand auf die Stirn. Dann sagte sie zu Chloe: »Gehst du ins Haus, Schatz, und siehst nach Josh?«
»Aber ich will mit Gus und Becca spielen«, protestierte Chloe.
»Ich komm später noch mal wieder und spiel dann mit dir«, kündigte Becca an. »Versprochen.«
Das kleine Mädchen schlurfte widerwillig zur Eingangstür. Als sie die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte Debbie: »Becca … Der Sheriff wollte an dem Abend nicht zu dir. Manchmal … Manchmal hat er hier im Motel noch was mit jemand anders zu erledigen.«
Becca runzelte die Stirn. »Was hat er denn zu erledigen?«
Seth hustete laut. Debbie sah zu ihm hin. Ich wusste es … Leben ist … ging vom einen zum anderen. Und die Blicke, die sie austauschten, und Debbies Flüstern erinnerten Becca an etwas, das sie beobachtet hatte: Tatiana Primaveras Hand auf dem Arm des Sheriffs im Gemeinschaftsraum. Und seine Finger, die in ihre griffen. Die Geste war so flüchtig gewesen, dass sie alleine keine Bedeutung hatte. Aber wie so viele andere Ereignisse auf dieser Insel stand sie nicht allein.
Becca sagte: »Oh.«
»Es ging an dem Abend nicht um dich«, erklärte Debbie. »Nachdem ich dich vermisst gemeldet hatte, kam er natürlich wieder her. Aber nicht an jenem Abend. An dich hat er als Allerletztes gedacht. Aber wo bist du bloß hin?«
»Ich habe Seth gesucht. Er hat mir geholfen. Genauso wie vorher auch schon.«
»›Wie vorher auch schon‹?«
» Er hat mir gesagt, ich solle auf der Second Street vor dem weißen Gebäude auf Sie warten. Er sagte, dann würden Sie mich dort finden. Und er sagte, dass Sie mir helfen würden. Weil sie immer anderen helfen.«
»Das hat Seth gesagt?« Als Becca nickte, sah Debbie Seth an und ließ ihren Blick auf ihm ruhen. »Er hat dir nichts getan? Er hat dich nicht belästigt? Er hat dir … nichts gegeben? Oder dich dazu angestiftet, etwas zu tun?«
»Was meinen Sie?«
Debbie sah wieder Becca an und musterte sie. Dann sagte sie: »Drogen. Gras. Tabletten. Meth. Hat er dir nichts gegeben?«
Becca schüttelte den Kopf. »Außer eine Campingausrüstung und Essen.«
Debbie murmelte: »Ach Gott.« Dann sagte sie: »Er hat sich also um dich gekümmert? Er hat dir einen Platz zum Übernachten besorgt?«
»Ja, er ist mein Freund.«
Debbie schien mit dieser neuen Information völlig überfordert. Sie wirkte wie eine Frau, der man Ziegelsteine auf die Schultern geladen hatte.
Berater … unrecht … was für eine vierte lautete ihr Flüstern, doch es vermischte sich mit Flüstern über Sean. Jahre seines Lebens … was ist wirklich … Diese Gedanken schwirrten durch die Luft und überkreuzten sich mit denen von Seth, denn darin ging es um Menschen müssen endlich aufhören, zu denken … wie etwas aussieht … Sean, aber nicht ich … bis Becca es nicht mehr hören konnte. Sie kramte ihre AUD-Box heraus und steckte sich den Kopfhörer ins Ohr.
»Die Kinder haben dich vermisst, Becca«, sagte Debbie.
»Ich komme wieder, um sie zu besuchen.«
»Und was ist mit der Schule?«
»Ich habe für mich alleine weitergelernt. Und irgendwann gehe ich auch wieder hin.«
»Verrätst du mir auch, wann?«
»Bald. Hoffe ich.«
»Aber worum geht es hier eigentlich? Willst du mir das nicht erzählen? Oder du, Seth?«
Becca warf Seth einen Blick zu, der hilflos die Arme hob und sie wieder fallen ließ, und Becca damit zu verstehen gab, dass er ihr die Entscheidung überließ.
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