Whisper Island (01) - Sturmwarnung
nicht den Kopf darüber zu zerbrechen brauchen, wie er das Gespräch mit Ralph beginnen sollte. Als er abbog, um den Berg zu Ralphs Haus hochzufahren, kam ihm ein rostroter Mazda entgegen. Er fuhr an die Seite und sah zu seinem Verdruss, dass Mrs Prince, die bedauernswerte Dame, der er im Star Store eine Rechnung über zweitausendeinhundert Dollar präsentiert hatte, gerade wegfuhr. Sie winkte ihm fröhlich zu und grinste, und Seth winkte tapfer zurück. Er fragte sich, wie Ralph darauf reagiert hatte, dass sein Enkel als Kassierer versagt hatte, und konnte sich lebhaft vorstellen, wie Mrs Prince sagte: »Ralph, ich frage ja nicht gerne, aber kann der Junge überhaupt zählen?«
Seth fuhr den Rest des Bergs hoch. Als er zum Haus stapfte, stand Ralph vor der Küchenarbeitsfläche und Gus saß unter dem Tisch. Ralph blätterte in einem Kochbuch, mit einem Sixpack Bier neben ihm auf der Arbeitsfläche, während Gus jede seiner Bewegungen beobachtete, in der Hoffnung, dass irgendwann etwas zu fressen herausspringen würde.
Der Hund bellte einmal zur Begrüßung, als er Seth erblickte, und setzte dazu an, aufzustehen.
Ralph sagte: »Bleib, Gus!«, als der Labrador anfing, mit wild wedelndem Schwanz unter dem Tisch hervorzukommen. Gus zögerte und blickte mit seinen braunen Augen von Ralph zu Seth und wieder zu Ralph. Ralph wiederholte: »Bleib!«, und der Hund zog sich sofort wieder unter den Tisch zurück, wo er sich hinsetzte.
»Echt beeindruckend«, sagte Seth. »Kann ich ihm Hallo sagen?«
»Natürlich. Ist ja dein Hund.«
Seth beugte sich unter den Tisch und drückte seine Wange auf Gus’ Kopf. Der Schwanz fegte schneller über den Boden.
Ralph knallte das Kochbuch zu. »Fran Prince hat mir erzählt, dass du im Star Store jetzt an der Kasse arbeitest, Lieblingsenkelsohn.«
Seth stöhnte. »Ich habe sie gerade wegfahren sehen. Ich hätte nicht gedacht, dass sie gleich herkommen würde, um es dir brühwarm zu erzählen. Sie hält mich bestimmt für einen Volltrottel.«
Ralph runzelte die Stirn. »Warum?«
»Ich habe ihr zweitausendeinhundert Dollar für ihren Einkauf berechnet. Hat sie dir das nicht erzählt?«
»Nein.«
»Was hat sie dann hier gemacht?«
Ralph zeigte mit dem Kopf auf das Sixpack. »Sie hat mir das hier vorbeigebracht. Ich hab gestern ihre Hintertür repariert, und das närrische Frauenzimmer hat gedacht, sie müsste mir dafür was als Dankeschön geben.«
Seth sagte: »Oh.« Er fragte sich, wie sein Leben aussehen würde, wenn er aufhörte, voreilige Schlüsse zu ziehen, sobald er jemanden irgendetwas tun sah. »Ich habe sowieso nur zwanzig Minuten an der Kasse gearbeitet. Sie wollen mich da nicht dauerhaft einsetzen. Da würden sie sicher bald bankrott gehen.«
Ralph antwortete zunächst nicht. Stattdessen verstaute er die Bierflaschen eine nach der anderen im Kühlschrank und Seth konnte an seiner Miene ablesen, dass er angestrengt nachdachte. Schließlich sagte er: »Genug davon. Komm mit, Seth.«
Seth hatte Bedenken, folgte seinem Großvater aber ins Wohnzimmer. Ralph marschierte zu einem Schrank mit offenen Regalen voll mit Büchern, gerahmten Fotos und Erinnerungsstücken. Von diesen Regalen nahm er eins der Bilder und einen kleinen Holzkasten.
»Schau dir das hier mal an.«
Seth erwiderte: »Grandpa, ich bin nur gekommen, weil ich fragen wollte …«
»Ach, zum Teufel, Junge, ich weiß, dass du aus einem bestimmten Grund hier bist. Ich bin ja nicht auf den Kopf gefallen. Aber du und ich müssen da noch ein paar Dinge klären, und dazu musst du dir erst mal diese Sachen hier anschauen.«
Seth wusste natürlich, was es war. Der Kasten war seine allererste Holzarbeit, ein plumper Behälter, den er in einem Sommerhandwerkskurs gemacht hatte, als er von der dritten in die vierte Klasse wechselte. Das Bild zeigte ihn, wie er vor ein paar Jahren auf der Terrasse des Baumhauses stand und grinste.
Ralph sagte: »Zu wissen, was man im Oberstübchen hat, ist eine Sache …« Er zeigte auf seinen Kopf. »Und den Verstand zu haben, es auch zu nutzen, eine andere. Du bist ein ausgezeichneter Musiker und ein ebenso ausgezeichneter Handwerker, Seth. Gott verdamm mich, wenn ich zusehe, wie du dir selbst einredest, du wärst ein Versager, weil du glaubst, der Rest der Welt möchte, dass du jemand anders bist. Der Welt ist es egal, wer du bist, mein Enkelsohn. Du bist derjenige, dem das nicht egal sein sollte.«
Er nahm Seth den Kasten und das Foto ab und stellte sie zurück aufs Regal.
Weitere Kostenlose Bücher