Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Ward lächelte. »Eine ausgezeichnete Idee.« Sie stand auf und ging zum Büro der Schulberaterin, das gleich hinter ihrem lag und mit »A-L« an der Tür gekennzeichnet war. Sie kam sofort wieder zurück und sagte ihm, er solle durchgehen, Ms Primavera würde sich freuen, ihn zu sehen.
Das mit dem Freuen bezweifelte er zwar, ging aber trotzdem um Ms Wards Schreibtisch herum. Tatiana Primavera war gerade mit etwas beschäftigt, und Seth konnte sehen, dass es ihr nicht besonders gut ging. Ihre Nase war rot und zwei Päckchen Taschentücher lagen auf ihrem Schreibtisch. Seth sagte zu ihr: »Oh, hey, ich kann später wiederkommen. Geht es Ihnen nicht gut? Sind Sie erkältet?«
»Heuschnupfen«, erwiderte sie mit einem milden Lächeln.
Seth hielt das für eine Ausrede. Es war nicht wirklich die Jahreszeit für Heuschnupfen. Aber er dachte: Wenn du meinst, und erklärte ihr, was er wollte und brauchte. Zuerst bräuchte er einen Nachhilfelehrer. Dann müsse er die Prüfung bestehen.
Das schien sie etwas aufzumuntern. »Gute Idee. Was hast du vor?«
Er antwortete: »Immer noch dasselbe. Ich will Profigitarrist werden. Aber ich will mich zuerst um diese Sache hier kümmern.«
»Aber du spielst doch immer noch Gypsy-Jazz, oder?«, fragte sie.
»Natürlich«, gab er zurück. »Mit dem Trio. Aber ich werde wahrscheinlich noch was anderes nebenher machen, zumindest eine Zeit lang. Ich kann recht gut schreinern und hab gedacht, ich könnte halbtags für einen Bauunternehmer arbeiten.«
Sie sah ihn ernst an. »Und das ist okay für dich, Seth? Ich weiß, dass viele Leute auf der Insel Nebenjobs haben, um ihre künstlerischen Tätigkeiten zu finanzieren, aber ich erinnere mich daran, dass du dich ganz auf die Gitarre konzentrieren wolltest und sonst nichts.«
»Das will ich immer noch«, erwiderte er. »Aber es wird Zeit, dass ich das Ganze realistisch angehe.«
»Seth? Seth!«
Er wusste, wer ihn da rief. Er hatte es fast geschafft, wieder aus der Schule zu verschwinden, ohne ihr über den Weg zu laufen, aber der Ablauf der Cheerleaderveranstaltung hatte sich geändert und jetzt hatte Hayley ihn gesehen. Sie hatte auch Gus gesehen und fragte: »Du hast Gus zurück? Das ist toll«, als sie über den Parkplatz und zum VW ging.
Seth fühlte sich befangen in ihrer Gegenwart, weil er sie seit dem Morgen, als sie zum Star Store gekommen war und ihn gebeten hatte, Becca zu helfen, nicht mehr gesehen hatte. Wenn er bedachte, wie vor diesem frühmorgendlichen Besuch ihre letzten beiden Begegnungen verlaufen waren, konnte er immer noch nicht ganz verstehen, warum sie das getan hatte.
Sie blieb auf Gus’ Seite des Autos stehen. Das Fenster war heruntergekurbelt und sie erlaubte dem Labrador, sie zur Begrüßung auf seine typisch übereifrige Art vollzuschlabbern. Sie grüßte Seth, und er grüßte zurück, und dann schienen sie sich nichts mehr zu sagen zu haben, bis Hayley ihn fragte, ob er das mit Derric gehört hätte.
Er antwortete: »Ja. Hast du das mit Gus gehört?«
»Du meinst, dass Gus Derric vom Weg gedrängt hat?« Und als er nickte, sagte sie: »Ja.« Sie blickte zum Rand des Parkplatzes, wo die Ahornbäume den Rest ihrer rotbraunen Blätter abwarfen. »Es tut mir leid, dass ich gedacht habe … dass du Derric gestoßen hast.«
Er trat von einem Bein aufs andere. »Ist schon okay. Du hast mich ja nicht angezeigt oder so. Und außerdem tut mir das, was ich gedacht habe, auch leid.«
»Und das wäre?«
»Dass du und Derric zusammen seid.«
»Wir waren immer Freunde, Seth. Wir haben uns geküsst und ich weiß, dass dich das verletzt hat, aber mehr war da nicht. Es war nur dieses eine Mal.«
»Ich hab’s jetzt kapiert.«
Beide ließen die Köpfe hängen und betrachteten ihre Füße und den feuchten Boden, auf dem sie standen. Seth hatte das Gefühl, dass es sonst nichts mehr zu sagen gab, und streckte die Hand nach der Türklinke aus. Im gleichen Augenblick sagte Hayley: »An dem Tag, als du zur Farm gekommen bist, um Mom von Borreliose zu erzählen …«
»Ja?«
»Da habe ich gewusst, dass du Derric nichts getan hast. Weißt du, ich mache mir Sorgen wegen … wegen vieler Dinge in meinem Leben, und nichts davon hat mit dir zu tun. Du hast nur alles abgekriegt.«
Seth dachte darüber nach und sagte: »Dein Dad.«
Sie sah ihn über das Dach des alten VW an und schluckte schwer. »Seth, ich kann zur Zeit mit niemandem zusammen sein. Bei mir zu Hause liegen einfach zu viele Dinge im Argen. Es ist einfach zu
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