Whisper Island (01) - Sturmwarnung
Einundzwanzig Gänge. Schon ein bisschen alt, aber es läuft einwandfrei, und ich habe es auch geölt. Ich zeig dir, wie man damit fährt.«
»Was, jetzt ?« Debbie sah in die Richtung, in die die Kinder mit Gus gelaufen waren und von wo jetzt aufgeregtes Bellen erklang. »Tut der Hund den Kindern auch nichts?«
»Nein. Aber ich geh ihn trotzdem mal holen.« Seth lehnte das Fahrrad ans Auto, lief um das Motel herum und rief: »Hey, du dummer Hund!«
Becca sah Debbie an und Debbie betrachtete das Fahrrad. Nicht … schwang in der warmen Herbstluft zwischen ihnen.
Becca wusste nicht genau, worauf es sich bezog. Aber nach dem, was Seth ihr über Debbies Tochter erzählt hatte, hatte es bestimmt mit deren Fahrradunfall zu tun. Sie sagte zu Debbie: »Ich habe ein Geschäft mit ihm gemacht.«
Debbie riss ihren Blick vom Fahrrad los. »Was?« Dann holte sie rasch eine Packung Zigaretten aus der Jacke.
»Ich habe Seth versprochen, ihm mit Gus zu helfen, weil er mir mit den Zwiebeln geholfen hat.«
»Wieso braucht er mit Gus Hilfe?«
»Er will mit ihm laufen gehen.«
»Wo?«
»In den Saratoga Woods.«
Da hörte Becca, wie in Debbies Kopf die Alarmglocken schrillten, und zwar so laut, als würden in der ganzen Stadt tatsächlich Glocken läuten. Danach hörte sie: na klar … laufen … sicher …, woraus sie schloss, dass Debbie ihr nicht glaubte.
»Ich habe es ihm versprochen«, fuhr Becca fort. »Schließlich hat er mir auch geholfen, und ich will mich revanchieren. Soll ich vorher noch irgendwas anderes für Sie machen?«
»Nein«, sagte Debbie, und in dem Augenblick kam Seth mit den Kindern und dem Hund um die Ecke gebogen, und jetzt hielt er Gus’ Leine fest. »Nein, geh du ruhig in den Wald. Wenn du unbedingt willst.«
Als Chloe und Josh das hörten, fingen sie an zu quengeln, dass sie auch mitgehen wollten, und Seth sagte: »Klar. Je mehr, desto besser«, und sah Debbie fragend an.
»Zeit fürs Mittagessen«, sagte Debbie zu den Kindern.
»Ich habe Thunfischsandwiches dabei«, sagte Seth. »Nur zwei, aber wir können sie ja teilen.«
Doch Debbie antwortete kurz angebunden: »Kommt nicht infrage. Die Kinder bleiben hier. Viel Spaß, Becca.«
Damit ging sie zur Ladefläche des Pick-ups, riss die Klappe auf und fing an, die Einkaufstüten herauszunehmen.
Sie sprachen nicht über Debbie, während sie sich vom Motel entfernten. Gus hechelte auf dem Rücksitz und der VW ratterte die abschüssige Second Street hinunter, wo ein Haufen Leute vor einem Coffeeshop mit Namen Useless Bay Coffee an Tischen saßen, aßen und tranken. Von einer kleinen Bühne drang Gitarrenmusik zu ihnen. Der Gitarrist war ziemlich gut. Seth fuhr etwas langsamer, um zuzuhören.
»Das bin ich in sechs Monaten. Gypsy-Jazz.«
»Du kannst so spielen?«, fragte sie beeindruckt.
»Gitarre spielen ist mein Leben«, verriet er ihr.
Es war ein strahlender, kühler Tag, und Becca wurde wieder einmal klar, wie anders dieser Ort war als die Stadt, die sie kannte. Wenn in San Diego die Sonne schien, war es warm. Hier fing nur das Laub an zu leuchten und der Himmel erstrahlte in einem intensiven Blau.
Die Saratoga Woods lagen ein paar gewundene, baumbewachsene Kilometer von der Stadt entfernt, gegenüber der Saratoga-Passage, deren Wellen im strahlenden Sonnenschein glitzerten und wogten. Der Wald war dicht und wälzte sich auf einer breiten Wiese einen Hügel hinauf. Sie verließen die Straße und fuhren auf einen Parkplatz, auf dem schon fünf Autos und ein Lieferwagen standen, den Becca sofort erkannte. Diana Kinsale, die Frau, die sie an ihrem allerersten Abend auf der Insel mitgenommen hatte, war auch hier im Wald. Wahrscheinlich war sie mit ihren Hunden unterwegs, genau wie Seth, dachte Becca.
Seth nahm Gus zunächst an die Leine und erklärte Becca, dass er ihn erst frei laufen lassen würde, wenn sie an der Wiese vorbei und auf einem der Wanderwege angekommen sein würden. Wenn er davor alleine loslaufen würde, hätten sie keine Chance, ihn jemals wieder einzufangen. Dazu war er zu schnell und der Wald zu dicht. Und riesig.
Becca hatte ihre AUD-Box nicht dabei. Sie hatte sie nicht getragen, als sie die Blumenzwiebeln eingepflanzt hatte. Und sie war auch nicht noch einmal in ihr Zimmer gegangen, um sie zu holen, bevor sie mit Seth losgefahren war. Das Erste, was sie hörte, als sie die Wiese überquerten, war ein unterschwelliger Flüsterteppich, kaum hörbar, aber unverkennbar. Und mit dem Flüstern nahm sie einen fast
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