Whisper Island (01) - Sturmwarnung
allem an ihrer Jackentasche schnüffelten, in der die Zuckerkekse von der Fähre gelegen hatten. Becca stand auf und schob die Tiere zur Seite, als Oscar, der schwarze Pudel, sich zu ihnen gesellte und seine Leine dabei hinter sich herzog. Direkt hinter ihm war Gus. Sie versuchte, ihn festzuhalten, als er nah genug war, aber er ließ sich nicht fangen.
Diana befahl: »Alle Hunde zu mir!«
Und sofort gehorchten sie – alle außer Gus, der in sicherer Entfernung von Becca dastand und mit leuchtenden Augen und wedelndem Schwanz darauf wartete, dass die Jagd weiterging. Diana sagte zu Becca: »Haben sie dich umgerannt? Das tut mir leid. Sie tun nichts, aber sie dürfen nicht … Hey! Du bist doch das Mädchen mit dem Fahrrad. Becca, oder?«
Becca stand auf und behielt Gus im Auge. »Sie haben mich nicht umgerannt. Ich saß auf dem Baumstumpf und bin abgerutscht.«
»Brauchst du eine Leine für den Hund?«, fragte Diana. Sie nahm dem Pudel die Leine ab. »Oscar braucht eigentlich gar keine. Du kannst sie gerne haben. Ist das dein Hund?«
»Gus? Nein, der gehört Seth.«
»Seth Darrow?«, fragte Diana, und das klang so, als würde sie nicht nur Seths Namen kennen, sondern auch noch einiges mehr über ihn wissen. »Wo ist er denn langgegangen?«
Als Diana sie das fragte, fiel Becca wieder auf – genau wie an dem Tag, an dem sie sich zum ersten Mal begegnet waren –, dass sie bei ihr kein Flüstern hören konnte. Dabei war das doch gar nicht möglich, denn soweit Becca wusste, gingen allen Menschen Gedanken durch den Kopf. Und die, bei denen das nicht so war, waren tot. Aber diese Diana war sehr lebendig. Trotzdem hörte Becca ihre Gedanken nicht. Und das lag auch nicht daran, dass sie im Kopf ein Gedicht aufsagte, um ihre Gedanken zu verstecken, so wie Laurel: Hört her meine Kinder und gebt gut acht auf Paul Reveres Ritt durch die dunkle Nacht .
»Wo ist er langgegangen?«, wiederholte Diana.
»Seth? Ich weiß nicht. Er war zu schnell für mich.«
»Das hier ist der Weg zu den Putney und Metcalf Woods«, klärte Diana sie auf und zeigte auf den Weg, den sie gekommen war. »Ist er hier langgegangen?«
»Ich glaube nicht. Aber ich kann es nicht beschwören. Ich habe Lärm gehört und … tut mir leid, aber ich muss Gus einfangen.«
»Hier, nimm die Leine«, sagte Diana. »Du kannst sie mir später zurückgeben. Du weißt ja, wo ich wohne.«
»Meinen Sie wirklich?«
»Klar.«
Becca bedankte sich und lief in die Richtung, in die Gus zuletzt verschwunden war. Natürlich war er längst über alle Berge, aber sie rannte trotzdem weiter. Erst rief sie nach Gus und dann nach Seth. Schließlich sah sie den Hund vor sich auf einem Farnstrauch im Schatten liegen, denn dank seines leuchtenden Fells war er gut zu erkennen. Er hechelte, seine Pfoten waren matschverschmiert und sein Fell schmutzig. Aber er wirkte wie im siebten Himmel.
Er ließ sie näher kommen und im ersten Augenblick fürchtete sie, dass er sich verletzt hatte. Aber vermutlich war er einfach nur erschöpft und blieb deshalb sitzen. Und ließ sich deshalb auch anstandslos an die Leine nehmen.
»Okay, gehen wir«, sagte Becca. »Genug gespielt. Jetzt müssen wir Seth suchen. Bring uns zurück zum Auto.«
Sie waren nicht weit vom Anfang des Wanderwegs entfernt, wo sie den Wald betreten hatten, als Becca merkte, dass das Flüstern aufgehört hatte. Sie hielt inne und lauschte. Sie hörte weder Vogelgezwitscher noch bellende Hunde noch Geschrei. Jedes Gefühl, das ihr vorher die Luft zugetragen hatte, war verschwunden.
Noch schlimmer aber als das Verklingen des Flüsterns war der Geruch. Der süße Duft, der ihr vorher durch die Luft entgegengekommen war, war nicht mehr da. Sie spürte überhaupt nichts mehr. Beccas Magen begann sich zusammenzuziehen.
»Derric«, sagte sie. Dann: »Derric?« Und auf einmal wusste sie es – ohne genau zu wissen, was. Sie schrie: »Derric!«, und lief los.
Sie wusste nicht, wohin sie lief und warum, aber Gus schien zu spüren, dass etwas nicht stimmte. Und er schien zu wissen, wo es langging, denn er rannte voraus. Sie liefen den Weg hinab und kamen auf der Wiese heraus, die am Rande der Saratoga Woods lag. Aber anstatt zum Parkplatz zurückzulaufen, bogen sie nach rechts ab.
Sie liefen am Waldrand vorbei und auf eine Farm zu, die auf der Südseite der Wiese begann. Doch bevor sie sie erreichten, schlug sich Gus wieder in den Wald. Hier, am äußersten südwestlichen Ende, fing ein anderer Weg an. Er war schmal und
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