Whisper
Haustür stand eine gusseiserne Kanne mit einem Henkel.
Der Bauer nahm eine leere Milchflasche aus dem Holzschrank, stellte sie auf den Tisch und füllte sie bis zum Rand mit der rahmigen Flüssigkeit aus der Kanne. Über seine Hände zog sich eine rot entzündete Schuppenflechte.
»Reicht?«
Noa nickte. Der Bauer hielt ihr die Flasche hin. Der Dachboden, dachte Noa. Irgendwie muss ich auf den Dachboden zu sprechen kommen. Im Grunde war es nur eine einfache Frage. Schließlich hatten sie das Haus gemietet, das Haus und somit auch den Dachboden. Der Schlüssel stand ihnen zu, es war also ganz natürlich, den Bauern darum zu bitten. Trotzdem spürte Noa, wie ihr die Stimme versagte.
»Der Dachboden, er … er ist verschlossen«, flüsterte sie. »Haben Sie den Schlüssel?«
»Den Schlüssel? Zum Boden?«
Noa nickte wieder und es kam ihr vor, als schösse ihr jeder Tropfen Blut, den sie besaß, in die Wangen. Ganz heiß fühlte sich ihr Gesicht plötzlich an.
»Sind noch Sachen da oben.« Die Antwort des Bauern war wie eine Frage ohne Fragezeichen. »Teures Zeug von den Mietern damals, das geht niemanden was an.«
Der Bauer machte einen Schritt vor, als wollte er Noa aus der Türe drängen. Aber Noa blieb stehen und gab sich alle Mühe, ihm fest in die Augen zu sehen. »Jetzt sind wir die Mieter«, sagte sie. »Meine Mutter hat gesagt, ich soll Sie nach dem Schlüssel fragen.«
»So. Hat se gesagt.«
Der Bauer nestelte an einem losen Knopf seiner Jacke herum, wobei er Noa unentwegt ansah. Seine Augen waren glupschig wie Froschaugen und sehr hell. Noa nickte, schluckte und presste schließlich die Frage heraus, die ihr schon die ganze Zeit wie ein Zementstein auf der Seele lag. »Unsere Vormieter. Wissen Sie vielleicht noch, wie die hießen?«
»Wie se hießen?« Jetzt lachte der Bauer, als amüsiere er sich über so viel Unverfrorenheit. »Bist ja ’ne ganz Neugierige, Mädchen. Steigenberg. Nee. Steinberg. Steinberg hießen se.«
»Und die Tochter? Der Vorname der Tochter?«
Der Bauer stutzte, jetzt lachte er nicht mehr. Er starrte Noa an und sie wusste, dass sie zu weit gegangen war.
»Was willste das wissen, hä?«, fragte er grob. »Du hast deine Milch, jetzt geh, ich hab zu arbeiten.«
Der Bauer trat noch einen Schritt vor, er stand jetzt so nah vor ihr, dass sie seinen Atem spüren konnte.
Noa öffnete noch einmal den Mund, aber der Mut hatte sie verlassen. Sie drehte sich um und ging. Die Milch in der Flasche fühlte sich warm an. Draußen kläffte ihr der Hund hinterher. Als Noa an der Straße stand, fiel ihr ein, dass sie dem Bauern die Milch nicht bezahlt hatte. Sie wandte sich wieder um, der Bauer stand noch in der Tür.
»Die Milch.« Noas Herz schlug schnell und hart, während sie zurück zum Haus ging. »Was kostet die Milch?«
»Fuffzich«, sagte der Bauer. »Fuffzich Cent.«
Noa kramte in ihrer Hosentasche nach dem Fünfeuroschein, angelte dahinter aber ein 50-Cent-stück hervor und hielt ihm das Geld hin. »Bitte – und danke für die Milch.«
Sie wollte sich schon abwenden, da legte sich die Hand des Bauern auf ihre Schulter. »Bist ’ne Hübsche«, sagte er. »Aber nicht wie sie. Keine war wie sie. Ich konnt mir den Namen nie merken, aber meine Schwiegermutter hat se immer Schneewittchen genannt, weil se so schön war.«
Mit diesen Worten schloss der Bauer die Tür.
Noa stellte die Milch vor der Küchentür ab und lief nach oben, um ihre Kamera zu holen. Kat war noch nicht zurück und Gilbert saß in seinem Zimmer und meditierte. Noa wollte allein sein, sie wollte sich bewegen, gehen, einfach gehen, als könnte sie den dunklen Gedanken auf diese Weise entfliehen. Sie ging nicht in Richtung der Kneipe, sondern in die andere, links vom Haus, die Straße entlang, bis zu einem schmalen Weg, der über eine kleine Holzbrücke in den Wald führte. Gelbe Sumpfdotterblumen und Windröschen umsäumten den Bach unter der Brücke und auf der rechten Waldseite – wie gebückt im Schatten der Bäume – stand ein Haus. Es war ein Fachwerkhaus, scheinbar noch älter als das ihre und offensichtlich war es einmal eine Mühle gewesen. Es hatte ein reetgedecktes Dach und an der einen Hauswand befand sich noch das hölzerne Mühlrad, das sicher seit vielen Jahren nicht mehr in Betrieb war.
Noa überlegte ein Foto davon zu machen, zuckte dann aber zurück, als sie oben am Fenster einen Schatten sah, und lief mit schnellen Schritten die Waldstraße hinein, bis das Dorf hinter ihr lag und sie nur
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