Whisper
wurde Noa bewusst, dass sie Eliza beim letzten Geisterspiel zwei Fragen gestellt hatte, auf die das Glas mit Dumbo geantwortet hatte. Noa hatte gefragt, wer dort oben auf dem Dachboden war, und sie hatte gefragt, ob es der Mörder sei. Somit blieb Elizas Antwort ES IST DUMBO zweideutig. Alles, was sie wussten, war, dass er da oben nach dem Juwel gesucht hatte. Was genau Eliza damit meinte – und vor allem warum das Juwel angeblich bereits in Gustafs Besitz war, ohne dass er davon wusste – das war noch immer das große Rätsel.
Wie sehr sich Noa wünschte mit David zu sprechen! Wie sehr sie sich gestern Nacht gewünscht hatte, dass er sie nicht alleine lassen würde. Es war ein fast körperlicher Schmerz gewesen, als er sie zurückließ und sie allein ins Haus ging, in dem Gilbert schon schlief und in dem Eliza herumgeisterte – unsichtbar für ihre Augen und zwischen den Welten, wie der Pfarrer auf dem Fest gesagt hatte.
Aber noch mehr schmerzte Noa das, was David über Eliza gesagt hatte. Man sehnt sich danach, dass es wirklich wird, ihr Lächeln. Man sehnt sich so sehr danach, dass man alles dafür tun würde, um es nur einmal zu sehen .
Wie ein Stachel saß Noa die Eifersucht im Herzen, auch jetzt am Morgen noch.
Sie ging an den Gräbern entlang, den schlichten, schmucklosen Quadraten, auf denen Nelken oder Chrysanthemen standen. Fast alle, die hier gestorben waren, hatten ein langes Leben geführt, was Noa an den Geburts- und Todesdaten ablesen konnte. Über eines der Gräber stand eine Frau gebeugt und zupfte Unkraut. Sie musste Noas Schritte gehört haben und drehte sich um.
Noa zuckte zusammen. Es war Esther, Gustafs Mutter, und in Noa stieg ein schreckliches Gefühl der Scham auf. Vielleicht war Esther die Mutter eines Mörders und wusste es nicht einmal. Am liebsten wäre Noa mit gesenktem Kopf an ihr vorbeigelaufen, aber dann zwang sie sich zu einem Gruß und warf einen verstohlenen Blick auf die Grabinschrift. Peter Gustaf Kropp, 1924–1960. »Er starb kurz nach Gustafs Geburt«, sagte Esther leise. »Es ist nicht leicht, ein Leben ohne Mann, das wird deine Mutter sicher wissen. Aber mein Gustaf war immer für mich da. Er ist ein guter Junge, ist es immer gewesen. Genau wie David.«
Noa schluckte, sie wusste nicht, was sie sagen sollte, aber offensichtlich erwartete Esther auch keine Antwort.
»Wie gefällt euch das Haus?«, fragte sie Noa mit ihrem dünnen Lächeln. »Macht unser David seine Arbeit gut?«
»Danke, ja. Er hat uns viel geholfen, ohne ihn wären wir jetzt bestimmt noch nicht so weit.«
»Braucht ihr vielleicht auch Hilfe mit dem Graben?«
»Mit dem Graben?« Noa runzelte die Stirn. Meinte Esther das Erdloch im Garten, den Kompost? »Ich denke nicht«, entgegnete Noa vorsichtig. »Kat, meine Mutter, hat beschlossen einen neuen Kompost anzulegen, aber so was macht sie am liebsten allein. Meine Großeltern hatten eine Gärtnerei, Kat kennt sich aus und Gartenarbeit entspannt sie.«
»Ich könnte Gustaf schicken«, bot Esther an. »Es macht keinen schönen Eindruck, wenn die Erde dort so offen im Garten herumliegt. Er könnte neue Erde bringen.«
»Nein, danke, das ist nicht nötig«, wehrte Noa erschrocken ab. Esthers Angebot in allen Ehren, aber die Vorstellung, dass Gustaf jetzt auch noch in ihrem Garten herumgrub, war undenkbar – zumal Noa nicht glaubte, dass er nach Kats Auftritt auf dem Dorffest das Angebot seiner Mutter einlösen würde, guter Junge hin oder her.
»Ich werde meiner Mutter Bescheid sagen, sie wird das bestimmt in den nächsten Tagen in Ordnung bringen. Also dann, auf Wiedersehen.«
Als Noa auf dem schmalen Friedhofsweg zurück ins Dorf ging und an der Kneipe vorbeikam, beschleunigte sie ihre Schritte, ja, sie lief fast. Es wäre ihr unerträglich gewesen, Gustaf jetzt zu begegnen, und sie war froh darüber, dass die Vorhänge vor der Wirtschaft zugezogen waren.
Es war still im Dorf, nur aus den Ställen kam das leise Muhen der Kühe, die bald auf die Weide geführt werden würden, und in der Scheune des Bauern war der anspringende Motor eines Traktors zu hören
Noa erschrak, als sie David erblickte. Er saß hinten auf dem Anhänger des Traktors, einen Vorschlaghammer in der Hand, und schien nicht gerade glücklich darüber zu sein, sie zu sehen. Es war, als hätte sich eine unsichtbare Wand zwischen sie geschoben.
»Kann ich mit?«
Die Frage kam aus Noas Mund, ohne dass sie darüber nachgedacht hatte. David machte ein abweisendes Gesicht, aber der
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