Whisper
Bauer nickte ihr zu. »Dann steig mal auf, Mädchen«, brummte er und lächelte Noa zu. Sie setzte sich neben David, der sich schweigend eine Zigarette anzündete, und Hallscheit steuerte den Traktor die Straße zum Bahnhof hinauf, bis er in einen Feldweg einbog, der zu einer Kuhweide führte. Einer der Zäune war kaputt, umgerissen vom Wind, und David und Hallscheit machten sich daran, die aus der Erde gerissenen Pfähle neu in den Boden zu rammen, wobei Hallscheit die Pfähle hielt und David die eigentliche Arbeit verrichtete. Er hatte sein T-shirt ausgezogen und seine Muskeln spannten sich mit jedem Hammerschlag. Wütende, verbissene Schläge waren es, jeder einzelne begleitet von einem Keuchen.
Noa konnte sich nicht zurückhalten. Wenn David sich jetzt in sein Schweigen zurückzog, dann würde eben sie die Fragen stellen, und da ihr nicht einfiel, wie sie das Thema auf den Wirt lenken sollte, beschloss sie direkt mit der Tür ins Haus zu fallen. »Herr Hallscheit, Sie … kennen Sie Gustaf schon von früher? Ich meine, als Kind? Als er noch ein Junge war?«
»Gustaf? Was soll ich den nicht gekannt haben. Wir sind hier keine Großstadt, Mädchen.«
David hielt beim Schlagen inne und warf Noa einen wütendenBlick zu, aber sie fragte weiter, trotzig und entschlossen.
»War Gustaf mit dem Maler unten an der Mühle, mit Robert … waren die beiden befreundet?«
»Befreundet?« Der Bauer stutzte, dann lachte er. »Die beiden sind Brüder, Mädchen, unzertrennlich waren se. Auch wenn der Robert ein Bastard war. So haben se ihn genannt, wegen dem Kerl, der seine Mutter hat sitzen lassen.«
Was? Noa schüttelte den Kopf, sie verstand nicht ganz. Was hatte der Bauer gesagt? Völlig verstört sah sie zu David, aber dem stand der Schock regelrecht ins Gesicht geschrieben. Fassungslos starrte er den Bauern an, dann platzten die Worte aus ihm heraus. »Gustaf und Robert sind Brüder? Und Sie wussten das?«
»Junge.« Der Bauer sah plötzlich peinlich berührt aus. Er schüttelte den Kopf, als wäre er selbst erstaunt darüber, was ihm da gerade herausgekommen war. »Junge. Jeder weiß das. Dachte, du auch. Keiner spricht davon, aber dachte nicht … Himmel, ich hab doch nichts mit den Leuten im Dorf zu schaffen, ich …« Der Bauer hielt inne, als schien sein Wortschatz nicht auszureichen, um das auszudrücken, was ihm jetzt durch den Kopf ging, aber David ließ den Hammer fallen und trat auf den Bauern zu.
»Los, erzählen Sie’s mir. Raus mit der Sprache, los!« Davids Stimme klang bedrohlich, seine Augen waren dunkel vor Zorn.
Der Bauer bückte sich nach dem Hammer, schwerfällig, er ächzte, als er wieder hochkam. Er sah von Noa zu David, schien sich zu winden, aber schien auch zu merken, dass es zu spät war, dass er jetzt weiterreden musste.
»Roberts Vater war einer aus dem Nachbardorf. Hat der Esther schöne Augen gemacht. Aber dann hat er se sitzen lassen, noch bevor der Junge kam. Hat sich davon gemacht, ist weg aus dem Dorf. Keiner wollte se mehr haben, die Esther, nur der Peter, der hat se geliebt. Hat se geheiratet und mit ihr die Wirtschaft gemacht. Als Gustaf kam, ist er gestorben, da war se wieder allein. Hat’s nicht einfach gehabt, eure Esther, weiß Gott nicht. Aber tapfer ist se gewesen und ihre Söhne waren immer für se da, auch der Bastard, und der Gustaf sowieso. Kennst ihn doch, David. Kennst ihn doch, den braven Kerl.«
Der Bauer kaute auf seiner Unterlippe, den Kopf noch immer halb gesenkt, während sich David an einen der eingerammten Pfähle gelehnt hatte. Sein Brustkorb hob und senkte sich in schnellem Tempo, während sein Gesicht wie versteinert war. Noa schloss die Augen. Das Foto, dachte sie. Die beiden Jungen, Arm in Arm, mit ihren so verschiedenen Gesichtern. Sie waren Brüder. Alle wussten es, nur David, der mit Gustaf lebte, der hier in diesem winzigen Dorf, wo jeder jeden kannte, aufgewachsen war, hatte keine Ahnung. Gustaf, Esther, seine Mutter Marie, niemand hatte ihm davon erzählt.
»Aber warum?«, bohrte Noa jetzt weiter. »Warum haben die zwei nichts mehr miteinander zu tun, wenn sie früher unzertrennlich waren? Was ist passiert und warum spricht niemand darüber? Hat es … hat es was mit Eliza zu tun? Hat Robert etwas mit ihr gehabt?«
Der Bauer starrte auf den Hammer in seinen Händen und strich mit der Handfläche über das helle Holz. »Jeder hätte se gern gehabt, die Eliza. Schön war se wie ’ne Puppe aus Glas. Und lächeln konnt se, da wurde einem schwer ums
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